Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Balkanstaaten vereinbarten Teilungsplan die ganze Küste des Ägäischen 
Meeres bereits anderweit vergeben sei, und daß Serbien dafür auf 
Albanien verwiesen sei. 
Der Teilungsplan sei Rußland vorgelegt, dessen Billigung zu erwarten 
sei. Wenn sich Österreich-Ungarn einer Einverleibung Albaniens in 
Serbien widersetzen würde, so würde nicht nur Bulgarien, sondern auch 
Rußland hinter Serbien stehen. Wie sicher die Serben der russischen 
Unterstützung sind, ergab sich aus der Frage, ob Deutschland Öster¬ 
reich gegen Rußland beistehen würde, auch wenn sich Frankreich neutral 
verhalten würde1). 
Hier ist von solchen Absichten Rußlands nichts bekannt. Dagegen be¬ 
stätigt die Sprache des Gesandten Hartwig und insbesondere die des 
Botschafters Iswolski die serbische Auffassung. 
Letzterer hat unserem Botschafter direkt erklärt, daß eine Hinderung 
Serbiens durch albanisches Gebiet ans Meer zu gehen, eine Demütigung 
für Rußland bedeuten würde* 2). 
Nachdem infolge der Kriegsereignisse eine volle Aufteilung der euro¬ 
päischen Türkei wahrscheinlich geworden ist, wird der ursprüngliche 
Kriegszweck der Verbündeten, den Konnationalen Reformen zu sichern, 
dahin erweitert, daß sie ihre Stammesgenossen einverleiben. Es wäre 
aber eine vollkommene Verrückung des Zieles, wenn sich Serbien Teile 
eines von einem ganz anderen Volksstamme bewohnten Gebiets gewalt¬ 
sam einverleiben wollte. Wie wir wissen, widersetzen sich Österreich- 
Ungarn und Italien einer Zerstückelung Albaniens auf das ernstlichste. 
Wenn eine andere Großmacht die darauf bezüglichen serbischen An¬ 
sprüche zu den ihrigen machen würde, so liegen die Gefahren, die dar¬ 
aus entstehen, auf der Hand. Die Sprache der russischen Vertreter in 
Belgrad und Paris steht allerdings mit der Haltung der russischen Re¬ 
gierung, soweit sie uns bisher bekannt, nicht im Einklang. Sie birgt 
Poincaré an Paul Cambon gesandte Telegramme Jules Cambons über die Unterredung 
Kiderlens mit Boghitschewitsch — im Französischen Gelbbuch: Les Affaires Balkani¬ 
ques, das überhaupt sehr unvollständig ist, findet sich weder das eine noch das andere — 
zitiert werden: „Der serbische Geschäftsträger hat gefragt, ob Deutschland gegebenen¬ 
falls einen Krieg zwischen Rußland und Österreich wegen des jetzigen österreichisch¬ 
serbischen Konfliktes als Casus foederis auffassen würde, und nachdem hierauf eine be¬ 
jahende Antwort erfolgt war, hat er gefragt, ob der Casus foederis auch eintreten 
würde, wenn Frankreich sich an dem Kriege nicht beteiligen sollte, Kiderlen hat 
geantwortet, daß selbst in diesem Falle Deutschland zu den Waffen greifen würde.“ 
v. Siebert, Diplomatische Aktenstücke a. a. O., S. 58o. Auf diese Äußerungen Kiderlens 
zu Boghitschewitsch hat sich kurz darauf auch Poincaré gegenüber Freiherrn von 
Schoen bezogen; vgl. Nr. 12 356. 
1) Diese Bemerkung des serbischen Geschäftsträgers, die einige Tage danach dem 
russischen Außenminister durch den Italienischen Botschaftsrat della Torretta zu Ohren 
gebracht waren, wurden von Sasonow nachdrücklichst desavouiert. Vgl. Nr. 12 3^4 sowie 
die Telegramme Sasonows an Graf Benckendorff und von Hartwig vom 9. November, 
Der Diplomatische Schriftwechsel Iswolskis 1911—1914» ed Fr. Stieve, II, 3ggff. und 
v. Siebert, Diplomatische Aktenstücke, a. a. O., S. 577. 
2) Vgl. Nr. 12 336. 
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