Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

nehmen, indem es vor allem seine eigenen Interessen im Auge behalten 
würde. Ich glaube, dies ist wichtig; denn wenn wir schon heute 
durchblickenlassen, wir würdenin Zukunft zu verhindern 
suchen, daß Österreich sich in wirtschaftlicher Hinsicht 
mit den vergrößerten Balkanstaaten verständige, so wä¬ 
ren die Rollen ausgewechselt. Ich zweifle, daß wir in diesem 
Falle eine wirkliche Unterstützung bei den Westmächten finden würden. 
Denn wenn eine wirtschaftliche, ihren gegenseitigen Interessen entspre¬ 
chende Verständigung zwischen souveränen Staaten für die Zukunft eine 
Lösung bedeuten würde, ausreichend, um die in jedem anderen Fall 
drohende Gefahr eines europäischen Krieges zu bannen, so scheint mir, 
daß eine derartige Verständigung sowohl von der öffentlichen Meinung 
als auch von den Regierungen der Westmächte gebilligt werden wird. 
Andererseits kann man uns jedoch nicht verwehren, uns jeder Verständi¬ 
gung, welcher Art sie auch sein mag, wenn sie von Österreich im voraus 
als eine aufzuerlegende Bedingung aufgefaßt wird, zu widersetzen. Dies 
ist meiner Ansicht nach ein unanfechtbares Prinzip genau so wie das, 
daß es nötig sein wird, ein gewisses Gleichgewicht zwischen den territo¬ 
rialen Erwerbungen der kriegführenden Balkanstaaten, besonders zwi¬ 
schen Bulgarien und Serbien, herzustellen, da dieses Gleichgewicht aus 
demselben Gedankengang als erforderlich folgt. 
Benckendorf f. 
Nr. 667. 
Graf Berchtold an Graf Szögyeny in Berlin.1) 
Wien, den 3o. Oktober 1912. 
Angesichts der Situation am Kriegsschauplätze muß mit der Möglich¬ 
keit einer entschiedenen Niederlage der Türkei und in der Folge damit 
gerechnet werden, daß ein starres Festhalten an der Politik der 
Aufrechterhaltung des territorialen status quo am Balkan nicht 
mehr möglich sein wird. 
Unter diesen Umständen erscheint es vollkommen angezeigt, daß ein 
Gedankenaustausch zwischen den Dreibundmächten darüber stattfinde, 
wie sich deren bisherige Politik der durch die Ereignisse am Balkan ge¬ 
schaffenen neuen Situation anpassen ließe und in welcher Weise even¬ 
tuelle Nachteile für unsere Interessen zu paralysieren wären. 
Da Österreich-Ungarn infolge seiner geographischen Lage in diesem 
Belange am meisten interessiert ist, lege ich Wert darauf, das Berliner 
Kabinett schon heute darüber zu orientieren, welche Gesichtspunkte für 
x) Österreichisches Rotbuch 1912, Nr. 60, S. 36. 
18 Boghitschewitscli, Serbien II. 
278
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.