Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

ich als Hauptargument darauf hin wies, daß jeder Zusammenstoß zwi¬ 
schen uns und der Türkei, selbst an der kaukasischen Grenze, sofort als 
Signal zum Vorgehen der Balkanstaaten gegen die Türkei dienen würde. 
Zur Zeit fällt dieses Argument fort und mir scheint, daß schon jetzt 
notwendigerweise vorauszusehen ist, daß die Ereignisse uns veranlassen 
können, zu dem obengenannten, verhältnismäßig gefahrlosen, aber gleich¬ 
zeitig wirksamen Mittel eines Druckes auf die Türkei zu greifen. Da ich 
fast täglich mit Poincaré zusammenkomme und in vertraulichen Unter¬ 
redungen mit ihm die verschiedensten Gegenstände berühre, hielt ich es 
für möglich, auch diese Frage zu berühren mit dem ausdrücklichen Vor¬ 
behalt, daß ich lediglich meine persönlichen Ansichten zum x\usdruck 
bringe und sozusagen laut denke. Zunächst erschreckte ihn mein Gedanke 
sichtlich. Er erwiderte mir, daß ein solches einseitiges Vorgehen Ru߬ 
lands die einheitliche Art der Tätigkeit der Mächte verletzten und Öster¬ 
reich zu einem parallelen Vorgehen veranlassen würde. Dieses würde 
nach seiner Überzeugung eine starke Erregung in England gegen Ru߬ 
land erwecken und zur Spaltung des Dreiverbandes führen. Ich erwiderte 
ihm, daß ich nur den Fall eines entscheidenden Erfolges der Türkei im 
Auge hätte. Österreich sei nicht an der Verstärkung des türkischen Rei¬ 
ches interessiert, sondern nur an der Schwächung der slawischen Staa¬ 
ten; es werde daher im Falle einer Niederlage der letzten kaum einen 
Grund zur Einmischung suchen und werde sich zu den Verwicklungen 
zwischen uns und der Türkei auf dem asiatischen Kriegsschauplatz wahr¬ 
scheinlich ruhig verhalten. Für Deutschland seien solche Verwicklungen, 
die uns von unseren westlichen Grenzen abziehen, nur vorteilhaft und 
wünschenswert. Was England betreffe, so liege es in seinem Interesse, 
keinen Zusammenstoß zwischen uns und der Türkei zuzulassen und als 
Vermittler und Friedensstifter aufzutreten. Heute konnte ich mich davon 
überzeugen, daß meine Unterredung nicht umsonst gewesen war und 
daß Poincaré sich zu meiner Idee nicht allein mit großer Ruhe, sondern 
mit einem gewissen Interesse (ich will nicht sagen mit einiger Sympathie) 
verhält, als zu einer Form einer uns auf gezwungenen Einmischung, die 
für den allgemeinen Frieden am wenigsten gefährlich sein würde. 
Ich hoffe, daß Sie mich nicht tadeln werden, weil ich eine so wichtige 
und heikle Frage eigenmächtig Poincaré gegenüber berührt habe. Es 
erscheint mir für uns günstig, ihm die Überzeugung von der 
Unvermeidlichkeit unserer unter gewissen Umständen 
notwendigen aktiven Einmischung beizubringen. Wenn wir 
uns einer solchen Einmischung enthalten werden, machen wir uns da¬ 
durch der Dankbarkeit Frankreichs verdient. Tritt aber die Einmischung 
ein, so wird Poincaré darauf vorbereitet sein und uns eine wertvolle 
diplomatische Mitwirkung zu ihrer Lokalisierung gewähren können. Ich 
erlaube mir zu bemerken, daß, wenn wir uns je nach dem Gang der 
Ereignisse entweder zur Mobilmachung oder auch nur zur Translozie¬ 
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