Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

lassen, daß durch die Erweiterung Serbiens auf dem Sandschak ihr ein 
Sperriegel an der Südgrenze vorgeschoben werde, zumal da dies ebenso 
wie eine Expansion der Balkanstaaten nach Albanien eine Abschließung 
gegen die Adria bedeuten würde. 
In Albanien verfolge Österreich-Ungarn keinerlei eigennützige Pläne; 
dies sei schon mit Rücksicht auf die Abmachungen mit Italien ausge¬ 
schlossen; Albanien müsse aber türkisch bleiben und gegen Aspiration 
von anderer Seite geschützt werden. Durch Verträge, die teilweise auf 
die Friedensschlüsse von Carlowitz und Passarowitz zurückgingen, sei 
Österreich-Ungarn seitens der Türkei das Recht des Protektorats über 
die katholischen Albaner eingeräumt worden, das auch von je herkömm¬ 
lich ausgeübt worden sei, und aus diesem Recht resultierten moralische 
Verpflichtungen zum Schutz der dortigen Glaubensbrüder gegen Anders¬ 
gläubige, denen man sich nicht entziehen könne. 
Graf Berchtold möchte unter allen Umständen den Krieg vermieden 
sehen, da er ernstliche Besorgnisse vor einer Hineinbeziehung Österreich- 
Ungarns und eventuell daraus entstehenden weiteren Komplikationen hat. 
Ich bin überzeugt, daß er nicht daran denkt, die gegenwärtige Lage am 
Balkan zur Ausführung irgendwelcher Pläne zu benutzen. Sollten aber 
die oben erwähnten Befürchtungen bezüglich Serbiens und Montenegros 
eintreten, so würde sich Österreich-Ungarn vielleicht doch zu Maßregeln 
gezwungen sehen, die an sich seinen Wünschen nicht entsprechen. 
Stolberg. 
Nr. 620. 
Der Ges chäftsträger in Petersburg F reiherr von Lucius 
an den Reichskanzler von Bethmann Hollweg.*) 
Ausfertigung. 
]Nfr. 279. St. Petersburg, den 28. September 1912. 
Vertraulich. (pr. 3o. Sept.) 
Herr Neratow hat sich beim letzten Empfang, wie ich Euerer Exellenz 
schon anderweitig berichten durfte* 2), sehr pessimistisch über die tür¬ 
kisch-bulgarischen Beziehungen ausgesprochen, und ich hatte ebenso wie 
mein österreichischer Kollege den Eindruck, daß man hier, selbst wenn 
die Türkei ernstlich mit Einführung der Reformen in letzter Stunde 
beginnen würde, den Konflikt für unvermeidlich ansieht. Denn Herr 
Neratow hat ebenso wie Herr Sasonow keinerlei Vertrauen mehr in die 
türkischen Versprechungen. Der Ministerpräsident bemerkte sogar Herrn 
von Szilassy gegenüber, daß er vom bulgarischen Standpunkte 
!) Die Große Politik. Bd. 33. Nr. 12 180, S. 128. 
2) Vgl. Nr. 12 166.
	        
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