Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

punkt nicht vorübergehen zu lassen und sobald als mög¬ 
lich sich in den Kampf zu stürzen. Diese Bestrebungen haben vor 
meinem Auge fast stündlich in der immer größer werdenden Nervosität 
meiner hiesigen Balkankollegen Bestätigung gefunden. Sie alle, insbeson¬ 
dere der bulgarische Gesandte, richten beständig die Frage an mich: 
„Wann wird Rußland endlich zu handeln anfangen?“ Sie werden zu¬ 
geben, daß eine derartige Stimmung äußerst gefährlich ist. Unter diesen 
Umstanden können die kleinsten Unruhen in Konstantinopel kriegerische 
Verwicklungen auf dem Balkan nach sich ziehen. Andererseits sind solche 
Unruhen um so wahrscheinlicher, als der Kampf der politischen Parteien 
in Konstantinopel wieder eingesetzt hat. Es ist möglich, daß die all¬ 
gemeine Spannung derart wächst, daß man sich nicht mehr die Frage 
stellen wird, ob sich auch Rußland in Bewegung setzt, sondern daß man 
wider dessen Willen zu den Waffen greift. Ich glaube, daß das Ein¬ 
treten dieses Augenblickes von Zufälligkeiten abhängt und nicht von 
irgendwelchen vorher bestimmten Terminen; wir müssen daher unver¬ 
züglich unsere Maßnahmen treffen. Dies um so mehr, als wir, soviel 
ich weiß, keine Garantien besitzen, daß die Ansprüche der Bulgaren 
sich mit der Errichtung eines großbulgarischen Reiches in den Grenzen 
des Vertrages von San Stefano begnügen werden. Ich persönlich bin der 
Ansicht, daß sie bei den geringsten Hoffnungen auf Erfolg ihren Haupt¬ 
druck nicht nach dem Süden, sondern gegen die Hauptstadt des otto- 
manischen Reiches richten werden. Ich glaube, daß der Umstand, daß 
wir unvorbereitet sind, nur ein weiterer Beweggrund für sie sein wird, 
dieses längst ersehnte Ziel zu erreichen in der Überzeugung, daß wir 
nicht die Möglichkeit haben, sie daran zu hindern. 
Die Möglichkeit, daß wir in so unzeitgemäße Verwicklungen hinein¬ 
gezogen werden können sowie die Bedrohung unserer historischen Ideale 
veranlassen mich zu wiederholen, daß wir gerüstet sein müssen, da die 
von uns befürchteten Ereignisse nur abgewendet werden können, wenn 
bei uns und bei den Balkanvölkern kein Zweifel darüber besteht, daß wir 
uns dadurch nicht werden überraschen lassen. 
Giers. 
Nr. 599. 
Der russische Geschäftsträger in Paris 
an den russischen Außenminister.*) 
Brief. Paris, den 16./29. August 1913. 
Am Morgen nach seiner Rückkehr von St. Petersburg hat sich H. Poin¬ 
caré nach Rambouillet begeben, um dem Präsidenten der Republik 
und dem Ministerrat die Resultate seiner Reise im einzelnen mitzuteilen. 
a) Iswolski. Bd. II. Nr. 417, S. 239. 
14 Boghitsehewitsch, Serbien II. 
209
	        
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