sie haben es verstanden, in den letzten Jahren, wo in der Doppel¬
monarchie alle Kräfte von dem Kampfe um den Ausgleich absorbiert
und die Aufmerksamkeit von entfernter liegenden Angelegenheiten ab¬
gelenkt war, die politische Lage ihrer Stammesgenossen im Okkupa¬
tionsgebiet zu verstärken und dem großserbischen Gedanken neue An¬
hänger zu gewinnen. Hierbei fanden sie die kräftige Unterstüt¬
zung von seiten der Unabhängigkeitspartei in Ungarn*
die für ihre parteipolitischen Zwecke der Dienste der Serben, in Sara¬
jewo, Agram und Belgrad zu bedürfen glaubte.
So ist es gekommen, daß von den drei in Bosnien und Herzegowina
ansässigen Nationalitäten die Serben heute die größte politische Macht
besitzen. Neben der autonomen Kultusverwaltung haben sie jetzt auch
das Recht erworben, im ganzen Lande politische Vertreter zu wählen
und Versammlungen abzuhalten. Die Sprache, die in diesen geführt
wird, ist aber nichts weniger als loyal, und die separatistischen Wünsche
der serbischen Partei treten dabei offen zutage. Wenn die Regierung
nicht beizeiten für ein genügendes Gegengewicht sorgt, so ist die Mög¬
lichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß die Serben das Übergewicht
in dem Okkupationsgebiete erlangen, bei der einstigen staatsrechtlichen
Gestaltung dieser Länder dann ein kräftiges Wort mitsprechen und
der Zentralregierung vielleicht arge Verlegenheiten be¬
reiten werden.
Bei dieser Sachlage kann es wohl als ein Fehler der bosnischen Re¬
gierung bezeichnet werden, daß sie es nicht verstanden hat, das Bünd¬
nis, welches in der letzten Zeit zwischen der serbischen und der moham¬
medanischen Bevölkerung zustande gekommen ist, zu verhindern. Bei
diesem Bündnis handelt es sich für die Mohammedaner vornehmlich
um Religionsinteressen, die die bisher noch minderberechtigten Moslims
mit Hilfe der Serben gegen den gemeinsamen Feind, die katholischen
Kroaten, durchzusetzen bestrebt sind. Einen Beweis für dies
Bündnis und seine antikatholische und regierungsfeind¬
liche Tendenz bot neuerdings der Fall Jeftanowitsch*
der in Bosnien viel Staub aufgewirbelt hat. Jef tano witsch,
einer der gefährlichsten großserbischen Agitatoren, der seinerzeit von
Baron Kallay1) des Landes verwiesen war, unter Herrn von Burian
aber zurückgerufen und zum Präsidenten der orthodoxen Kirchen¬
gemeinde in Sarajewo ernannt wurde, hat in dieser Eigenschaft sich'
kürzlich geweigert, an dem Festbankett zu Ehren des neuernannten!
Metropoliten1 2) teilzunehmen, weil er mit dem Erzbischof Stadler und
dem Vertreter der Regierung nicht an einem Tisch sitzen wolle. Diese
Provokation des serbischen Agitators, die bei den Kroaten die größte
1) Vorgänger Baron von Burians als K. u. K. Reichsfinanzminister.
2) Eug. Letica.
IO