Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

seits den Albanesen zu machenden Zugeständnisse gehen unsere Infor¬ 
mationen dahin, daß man sich auf der Pforte keineswegs mit der Ge¬ 
währung autonomistischer Privilegien an die Albanesen, noch mit irgend¬ 
einer territorialen Umschreibung ihres Gebietes befaßt, sondern daß es 
sich ausschließlich um die Wahrung althergebrachter Prärogative handle. 
Unserer Auffassung nach liegt hierin nichts, was die Interessen der 
anderen Balkanvölker schädigen oder sie beunruhigen könnte. Sämtliche 
Nationalitäten Rumeliens haben vielmehr allen Grund, diese erste Äuße¬ 
rung der dezentralistischen Verwaltungsmethode in der Türkei willkom¬ 
men zu heißen. Sobald nämlich die Pforte mit dem starren Zentralismus 
gebrochen hat, unter dem nicht nur die Albanesen, sondern auch alle 
übrigen ottomanischen Nationalitäten zu leiden hatten, steht diesen allen 
der friedliche Weg zur Geltendmachung ihrer legalen Wünsche offen 
und wäre es daher in ihrem eigenen Interesse gelegen, daß die Tätigkeit 
der neuen Regierung in Konstantinopel nicht durch äußere Einflüsse 
gestört, sondern derselben Zeit gelassen werde, auf dem Wege der in¬ 
dividualisierenden Behandlung der einzelnen Völkerschaften fortzufahren. 
Es wäre dies auch im Interesse der Erhaltung der Ruhe am Balkan 
und sohin des europäischen Friedens gelegen. 
Das Wiener Kabinett, welches nach wie vor die Politik ver¬ 
folgt, die ruhige und friedliche Entwicklung aller Bal¬ 
kanvölker zu fördern, würde sohin Wert darauf legen, mit den 
Kabinetten der anderen Großmächte in einen Meinungsaustausch dar¬ 
über einzutreten, ob dieselben geneigt wären, einerseits durch freund¬ 
schaftliche Einwirkung auf die Pforte dieselbe in ihren neuen dezentrali- 
stischen Prinzipien zu bestärken, andererseits den Balkanstaaten nahe¬ 
zulegen, daß es im Interesse ihrer eigenen Stammesgenossen in der 
Türkei gelegen wäre, dem Kabinette Moukthar Pascha zur Betätigung 
seiner individualisierenden Verwaltungsmethode Zeit zu lassen und zu 
diesem Zwecke alles zu vermeiden, was die Ruhe am Balkan gefährden 
und sohin die Pforte von ihrer Beschäftigung mit den inneren Ange¬ 
legenheiten ablenken könnte. 
Euer Exzellenz wollen sich dem Herrn Minister des Äußern gegen¬ 
über im vorstehenden Sinne aussprechen und über die Aufnahme, welche 
dieser Schritt bei ihm gefunden hat, mir berichten. 
Nr. 5g3. 
Graf Somssich an Graf Berchtold. *) 
Telegramm. Paris, den i4-August 1912. 
In Abwesenheit Herrn Poincares habe ich mich des mittels Telegram- 
mes vom i3. d. M. erhaltenen Auftrages dem politischen Direktor im 
Ministerium des Äußern, Herrn Paleologue, gegenüber entledigt. 
*) Österreichisches Rotbuch, 1912. Nr. 3, S. 3. 
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