Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Nr. 56o. 
Der russische Gesandte Hartwig, Belgrad, 
an das Ministerium des Äußern in Petersburg.1) 
3o. Januai 
Nr-17. Belgrad, den^-^^ 1912. 
In Anbetracht der Beendigung der Ministerkrisis wird die serbische 
Regierung nunmehr die Verhandlungen mit Bulgarien wieder auf nehmen 
und ich bin, was Serbien anbetrifft, von dem glücklichen Ausgang über¬ 
zeugt, dem} in Belgrad mißt man dem Abkommen große politische Be¬ 
deutung für die Zukunft der beiden Balkanstaaten bei. In diesen Tagen 
unterhielt ich mich mit unserem in der Suite des Großfürsten Andrei 
Wladamirowitsch hier eingetroffenen Militärattache in Sofia, der, nach¬ 
dem er die kürzlichen serbisch-bulgarischen Meinungsverschiedenheiten 
in anderer Beleuchtung kennengelernt hat, sich der Anschauung nicht 
verschließen konnte, daß der serbische Standpunkt mit den allslawischen 
und damit auch den russischen Interessen mehr übereinstimmt. Weil 
nämlich, wie ich fortgesetzt gemeldet habe, die Serben voll und ganz 
bereit sind, die endgültige Abgrenzung der Einflußsphären der kaiser¬ 
lichen Regierung zu überlassen, während die Bulgaren, wie Oberst Ro- 
manowsky bemerkte, bestrebt sind, das russische Schiedsgericht zu um¬ 
gehen. Dies erscheint mir als ein sehr wichtiges Symptom. Ich halte 
es für nötig festzustellen, daß zwischen Milowanowitsch und Paschitsch 
keine Meinungsverschiedenheit in der Abkommenfrage besteht. Man 
kann nur von einer Inkommensurabilität der Verantwortung sprechen. 
Für jeden zu kühnen Schritt des Außenministers ist nur der Führer 
der Altradikalen verantwortlich, während Paschitsch natürlich der Oppo¬ 
sition und unseren sonstigen Feinden keine Wiaffen in die Hand geben 
¡möchte gegen die russophile Partei, die sich auf Rußland stützt und 
sich in der Außenpolitik von diesem leiten läßt. Wie dem auch sei, die 
Serben wollen einen neuen Beweis ihres Verständigungswillens geben und 
unsere Ratschläge befolgen. In den dem morgen nach Sofia abreisenden 
Spalaikowitsch mitgegebenen Instruktionen sind mehrere versönliche 
Formeln betreffend die strittige Ochridagrenze enthalten. Sollten die 
Bulgaren nicht nachgeben, so wollen sich die Serben sogar zur An¬ 
nahme der RomanowskyVariante verstehen, um nur das 
Abkommen zum Abschluß zu bringen. 
Hartwig. 
1) Krassny Archiv Tom. IX, S. 21. 
170
	        
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