Bei dem Essen in den Champs-Elysées am Abend der Ankunft des
Königs tauschten Seine Majestät und der Präsident der Republik freund¬
schaftliche Toaste aus, deren Text ich Ihnen im Zeitungsausschnitt zu
übersenden die Ehre habe.
Obgleich der König von dem serbischen Außenminister H. Milowano-
witsch begleitet war, liegt keinerlei Grund zu der Annahme vor, daß
die Reise Seiner Majestät besondere politische Zwecke verfolgt habe.
Am Tage seiner Abfahrt von Paris, am letzten Sonntag, wohnte der
König dem Gottesdienst in der russischen Kirche bei, wo er von mir und
den Mitgliedern der Botschaft, sowie vom serbischen Gesandten, Wes-
nitsch, offiziell empfangen wurde.
Iswolski.
Nr. 547.
Der russische Botschafter in Paris
an den stellvertretenden russischen Außenminister, *)
Brief. Paris, den io./23. November 1911.
Während der serbische König hier war, hatte ich eine sehr interessante
Unterredung mit Milowanowitsch. Der Minister begann damit, mich mit
größter Bestimmtheit der friedlichen Absichten Serbiens zu versichern.
Es beabsichtige keineswegs die jetzigen Verwickelungen im nahen Orient
auszunutzen. Andererseits beunruhigten ihn außerordentlich die weit¬
gehenden Pläne, mit denen sich Österreich-Ungarn, wie seine Nach¬
richten melden, trage. Österreich-Ungarn sei wegen des Widerstandes,
auf den seine Balkanpolitik in Serbien und Bulgarien stoße, entschlossen,
ein großes autonomes albanisches Reich zu verwirklichen. Zu diesem
Zweck verwende es große Summen, um in Europa Sympathien für die
albanische Nationalität zu erwecken, die für eine politische Entwicklung
ungemein befähigt ist. Die künftige Unabhängigkeit Albaniens soll sich
bis zum Wardar erstrecken und einen großen Teil Mazedoniens um¬
fassen. Es versteht sich von selbst, daß dieses Reich unter österreichi¬
schem Protektorat stehen soll und bestimmt ist, die slawischen Staaten,
d. h. Serbien und Bulgarien zurückzudrängen. Was Montenegro be¬
trifft, so meint Milowanowitsch, daß es gewagt sei, Österreich zu folgen.
Der Lohn dafür soll in einem Teil des Sandjak und in einigen albani¬
schen Gebieten mit Skutari bestehen. Milowanowitsch versichert, daß man
in Bulgarien endlich begriffen habe, welche Gefahr dem Slawentum von
seiten Österreichs drohe, (?) und daß jetzt die Verhandlungen über eine
serbisch-bulgarische Annäherung weit erfolgreicher fortgeschritten seien
und Aussicht hätten, ans Ziel zu gelangen. Rußland sei über diese Ver-
*) Iswolski. Bd. I. Nr. 161, S. i83.