Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

in übereinstimmender Weise geäußert hat, und die Möglichkeit, ja sogar 
die Wahrscheinlichkeit eines Umsturzes in der Türkei prognostizierte. 
Was hätte in einem solchen Falle der Umsturz des neugeschaffenen 
Regimes in Konstantinopel anderes als die vollkommene Anarchie auf 
der ganzen Balkanhalbinsel zu bedeuten? 
Für Serbien, wie auch teilweise für die anderen kleinen Staaten ergab 
sich von selbst das schwer zu lösende Dilemma: Soll man im Gegensätze 
zu den schrecklichen Vorzeichen sich ab wartend verhalten und es da¬ 
durch darauf ankommen lassen, von den Ereignissen überrascht zu 
werden? Oder soll man vielmehr die unumgänglich erforderlich erschei¬ 
nenden Maßnahmen treffen, die zur Wahrung der eigenen Interessen 
nötig erscheinen und auf diese Art einen günstigen Vorwand für den 
betreffenden Staat zum Einschreiten suchen, zwecks Wiederherstellung 
des gestörten Status quo auf der Balkanhalbinsel. 
Die hier erhaltenen Nachrichten über das Bestreben der Großmächte, 
alles in ihrer Macht Liegende zu tun, um die militärischen Operationen 
zu lokalisieren, haben die Besorgnisse der Belgrader Regierung zerstreut 
und haben auf die politischen Kreise und die öffentliche Meinung 
günstig gewirkt. 
Gleichzeitig habe ich die mir im Telegramme Euerer Exzellenz über¬ 
mittelten Nachrichten aus Cetinje, Athen und Sofia dazu benützt, um 
anläßlich einer Audienz bei König Peter seinen pessimistischen An¬ 
sichten entgegenzutreten. 
Der feste Entschluß der serbischen Regierung, die Ruhe und den 
Frieden auf der Balkanhalbinsel nicht zu stören, ruft in oppositionellen 
Kreisen äußersten Unmut hervor, und es werden Stimmen laut, die die 
Mobilisierung der Armee dringend verlangen. Die österreichisch-freund¬ 
lich gesinnte Presse überhäuft die Minister mit Vorwürfen, insbesondere 
Milowanowitsch, den sie scharf angreift, indem sie ihn der Feigheit, 
Sorglosigkeit und Kurzsichtigkeit bezichtigt, einer Kurzsichtigkeit, die 
der Minister des Äußeren bereits anläßlich der Annexionskrise zur Ge¬ 
nüge bewiesen hat. Nach der Ansicht dieser Blätter bereitet sich gegen 
Serbien ein neuer Schlag, nämlich die Wiederbesetzung des Sandschaks 
durch Österreich-Ungarn vor. 
Man ist jedoch an diese Hetze der österreichischen provokatorischen 
Agenten schon seit langem gewöhnt, und dieselbe macht deshalb keinen 
besonderen Eindruck. 
Dennoch wäre es unrichtig zu glauben, daß sich die Aufregung in 
Serbien bereits gelegt hat, was auch schon aus diesem Grunde nicht der 
Fall sein kann, weil die Gefahr tatsächlich noch nicht vorüber ist, was 
täglich durch Dutzende von einlaufenden Telegrammen bewiesen wird. 
Für Serbien besteht, wie ich bereits des öfteren zu berichten die Ehre 
hatte, eine dreifache Gefahr: Ein Aufstand im Wilajet Kossovo, die
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.