Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Stern Frankreichs und Österreichs gehabt hat. Beide schienen ihm opti¬ 
mistisch und haben ihm gesagt, daß Italien, um die tripolitanische Frage 
schnell zu liquidieren, darauf eingehen wird, die nominelle Souveränität 
der Türkei in Tripolis anzuerkennen und ihr eine Geldentschädigung zu 
zahlen. Sodann sagte mir Geschoff, daß Nekljudow und Hartwig 
energisch auf den Abschluß eines Bündnisses zwischen Bulgarien und 
Serbien unter dem Protektorate Rußlands dringen. Geschoff ist sich 
vollkommen darüber klar, daß ein derartiger Balkanblock, in diesen un¬ 
ruhigen Zeiten gebildet, Österreich gegen Bulgarien und Serbien auf¬ 
bringen muß, und hinter Österreich würden in diesem Falle Rumänien 
und die Türkei stehen. Ehe sich Geschoff zu einem solchen Schritt 
entschließt, möchte er wissen, auf welche Garantien von seiten Ru߬ 
lands Bulgarien rechnen könne. Geschoff fügte hinzu, es sei ihm be¬ 
kannt, daß Nekljudow nach Davos zu Sasonow gefahren sei, um ihm 
darüber zu referieren. Ich habe Geschoff geantwortet, daß eine An¬ 
näherung zwischen Bulgarien und Serbien von uns nur begrüßt wer¬ 
den kann. Der Zusammenschluß des orthodoxen-slawischen Elementes 
bedeute eine große Macht, aber ich könne ihm nichts über die Garantien 
eines solchen Bundes sagen, da die unsern Gesandten in Sofia und Bel¬ 
grad zu diesem Zwecke gegebenen Instruktionen mir unbekannt seien. 
Unsere Vertreter auf dem Balkan seien die einzigen kompetenten Organe 
für solche Verhandlungen. Ich könne ihm daher nur raten, die Rück¬ 
kehr Nekljudows nach Sofia abzuwarten. Außerdem sei heutzutage 
unser gemeinsames Interesse — die Beobachtung der strengsten Neutra¬ 
lität. „Dies ist möglich,“ erwiderte mir Geschoff, „wenn auf der Balkan¬ 
halbinsel alles ruhig bleibt, und wir werden keinesfalls ohne Wissen Ru߬ 
lands irgend etwas unternehmen.“ Giers. 
Nr. 52g. 
Der russische Gesandte Hartwig, Belgrad, 
an das Ministerium des Äußern in Petersburg.*) 
^ . 1 1 25. September 
„ „ Belsr"1' de““8OTtob5 ■»,I- 
Nr. 56. 
In meinen Geheim-Telegrammen hatte ich die Ehre, dem kaiserlichen 
Ministerium über die allgemeine Beunruhigung zu berichten, die sich 
Serbiens bei der ersten Nachricht über den türkisch-italienischen Konflikt 
bemächtigt hatte. 
Ich muß zugeben, daß diese Stimmung schon aus dem Grunde voll¬ 
kommen berechtigt war, weil zur gleichen Zeit fast die ganze europäische 
Presse sich über die schrecklichen Folgen des ausgebrochenen Konfliktes 
*) Krassny Archiv Tom. VIII, S. 22 ff. 
i38
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.