Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

Nr. 6 o. 
Der serbische Geschäftsträger Groitsch, London, 
an das Ministerium des Äußern in Belgrad. 
Pov. br. 43. London, den i4./27* Februar 1909. 
Vorgestern habe ich Hardinge eine Mitteilung im Sinne Ihres Tele¬ 
gramms vom 10. Februar gemacht und gleichzeitig ihm eine Aufzeich¬ 
nung darüber als aide mémoire nach Verlesung übergeben. Hardinge 
fragte zuerst, welches die Rechte seien, auf die wir uns beriefen und 
von denen wir behaupteten, daß sie direkt verletzt seien. Er erkenne 
an, sagte er, Haß unsere Interessen verletzt seien, aber 
er sehe nicht unser Recht. Ich erwiderte: „Wir berufen uns 
nicht auf Rechte, die aus einem geschriebenen Gesetz oder Vertrag her¬ 
rühren, sondern auf das höhere natürliche Recht auf Exi¬ 
stenz, Unabhängigkeit und materielle Entschädigung, 
welches Serbien schon dadurch allein hat, daß es als ein 
freies Staatswesen besteht. Will man sich aber auf rein ju¬ 
ristischen Boden (!?) stellen, so ist die Lage Österreichs schlechter als 
die unsrige, da es sich außerhalb der völkerrechtlichen Normen gestellt 
hat.“ — Darauf bemerkte Hardinge, daß unsere Existenz und 
Unabhängigkeit nicht in Frage ständen, da die Annexion 
die politische und militärische Stellung Serbiens nicht 
ändere. Ich erwiderte mit den bekannten Argumenten, weshalb die 
Verwirklichung der Pläne Österreich-Ungarns für uns gefährlich sei. 
Wir hätten deshalb gewisse Garantien von den Mächten verlangen 
müssen, die nicht von ihrem guten Willen, wie Hardinge einmal be¬ 
merkt hatte, sondern von ihrer Gerechtigkeitsliebe abhängen sollten. 
Diese Garantien wünschten wir auf friedlichem Wege zu erlangen. Des¬ 
halb enthielten wir uns alles dessen, was als eine Herausforderung Öster¬ 
reich-Ungarns gedeutet werden könnte. Der beste Beweis hierfür sei die 
Tatsache, daß wir den früheren Rat der Mächte bezüglich der Maßnah¬ 
men an der Grenze und den letzten Rat Rußlands bezüglich des Memo¬ 
randums befolgt hätten. Hardinge sagte: Die russische Regierung hat der 
englischen Regierung den Text des Memorandums mitgeteilt, 
es enthält Forderungen, bezüglich deren nicht erwartet 
werden kann, daß eine Großmacht, die Selbstachtung 
besitzt — und eine solche ist Österreich-Ungarn — sie 
erfüllen werde. Deswegen würde die Überreichung des Memorandums 
in dieser Form ein wahrer Unsinn sein. Diese Worte wieder¬ 
holte Sir Charles mit Betonung. Im übrigen, fügte er hinzu, hat die 
russische der englischen Regierung erklärt, daß sie diese Forderungen 
nicht unterstützen kann: mir ist bekannt, sagte Hardinge, daß Sir Edward 
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