Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

Unterbrechung einer Politik innerer Umwälzungen und Krisen ver¬ 
danke) und den Fragen über Sie und meine frühere amtliche Tätigkeit 
(bei welcher Gelegenheit er sich erinnerte, daß ich ihm, als er noch 
Kronprinz war, anläßlich seines Besuches während der Regentschaft 
vorgestellt worden bin), ging der König auf Fragen der auswärtigen 
Politik Serbiens über, bei welchen er sich länger aufhielt. Im späteren 
Teile dieses Berichtes bringe ich den Hauptinhalt dieses Gespräches. — 
Am selben Tage um halb acht Uhr abends hatte ich die Ehre, von 
Ihrer Majestät der Königin Helene empfangen zu werden und ihr die 
hohe Dekoration unseres Königs ((Heiligen Sava-Orden in Brillanten) 
zu überreichen. Ich habe die Ehre, mittels des angeschlossenen Schrei¬ 
bens, zufolge des mir in diesen Audienzen erteilten Auftrages, eine be¬ 
sondere Mitteilung an Seine Majestät den König zu unterbreiten. — Auf 
meine dem König, auf dessen Erkundigung über unsere gespannten 
Beziehungen zu Österreich-Ungarn gegebene Antwort, daß Baron 
Aehrenthal mit der unter einseitiger Zerreißung des Berliner Vertrages 
promulgierten Annexion Bosniens diese heutige gedrückte Situation 
geschaffen habe, betonte der König sogleich, daß wir sehr zurück¬ 
haltend und geduldsam sein müßten, da die Erklärung für unsere 
unliebsame Situation in der allgemeinen politischen Lage Europas 
liege, die heute von solcher Natur sei, daß, falls Serbien und Montenegro 
sich auf eine bewaffnete Aktion einlassen wollten, sie der Gefahr aus¬ 
gesetzt sein würden, auf sich selbst angewiesen zu bleiben. 
Darum rate er uns, als aufrichtiger Freund des Königs 
und Serbiens, in Erwartung eventueller Entscheidungen 
oder neuer politischer Konstellationen der europäischen 
Mächte, zu einer reservierten Haltung. (Diese Erklärung gab 
mir Anlaß zu bemerken, daß ich in dieser ernsten Zeit verpflichtet sei, 
mit dem Könige des uns freundlich gesinnten Italiens ohne Rückhalt 
zu sprechen, worauf der König lächelnd antwortete: „Sprechen Sie mit 
mir offen, denn ich bin kein Journalist, der interviewt!“). Ich schilderte 
ihm die von uns bis heute gebrachten allergrößten nationalen Opfer, 
unsere Loyalität trotz der Ungerechtigkeiten des Berliner Vertrages, und 
als Resultat all dessen: unsere, durch die eigenmächtige österreichische 
Annexion hervorgerufene, für uns unmögliche, nationale und ökono¬ 
mische heutige Lage. Ferner fügte ich hinzu, daß diese Frage nicht 
nur eine serbische, sondern auch eine solche sei, welche die Signatar¬ 
mächte des Berliner Vertrages angehe: Können diese die Zerreißung' 
des Berliner Vertrages durch Österreich-Ungarn ruhig und ohne et¬ 
waige Abänderungen desselben akzeptieren? Und besonders: Könne es 
Rußland und Italien gleichgültig sein, daß Österreich-Ungarn eine Bal¬ 
kanmacht werde und bleibe? Die alte österreichisch-russische Politik 
am Balkan bestand in Sonderabmachungen unter Ausschließung der 
übrigen Mächte, aber dies könne und dürfe nicht so bleiben (besonders 
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