Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

wenn ihr Programm vorher festgelegt werde, sonst könne sie gefährlich 
werden. Sodann meinte er, daß vom praktischen Standpunkte aus es 
Österreich allein zum Vorteile gereichen werde, wenn die Konferenz 
nicht zustande komme. Denn es werde Bosnien und die Herzegowina 
behalten und die anderen dagegen würden nichts bekommen. Ich 
setzte ihm meine einer solchen Auffassung zuwiderlaufende Anschau¬ 
ung auseinander. Tscharikow äußerte mir gegenüber wiederum sein 
Mißbehagen über die Politik des Fürsten Ferdinand von Bulgarien 
in der Frage der einverständlich mit Österreich proklamierten Unab¬ 
hängigkeit. Anläßlich der Nachricht von der Entsendung einer bulga¬ 
rischen Deputation nach Petersburg sagte Tscharikow, daß man sie hier 
gern empfangen würde. Er stimmte aber mit mir darin überein, daß 
dies dem Fürsten nicht angenehm sein würde. 
Nr. 37. 
Der serbische Geschäftsträger Gruitsch, London, 
an das Ministerium des Äußern in Belgrad. 
Pov. br. 5oo. London, den i7./3o. November 1908. 
Gestern habe ich Sir Charles Hardinge besucht und ihm die in dem 
Schreiben Ihres Ministeriums vom 12. d. M. Nr. 2o37 enthaltenen An¬ 
gaben, betreffend des Verbotes der Durchfuhr unseres Eisenbahnmate¬ 
rials und der Zündhölzchen durch österreichisch-ungarisches Territorium 
mitgeteilt. Ich habe bemerkt, daß diese Daten, mit den von Ihrem Ver¬ 
treter in den Beilagen zum aide mémoire vom 5. November beigebrachten 
im Zusammenhänge stehen, und da Sir Charles erwiderte, daß er dieses 
aide mémoire noch nicht erhalten habe (weil der Kurier aus Belgrad eben 
erst eingetroffen sei), so habe ich ihm einige dieser Angaben aus dem 
Gedächtnisse mitgeteilt. Sir Charles erklärte, daß die dargelegten Tat¬ 
sachen wirklich ernster Natur seien. Auf meine Bemerkung, daß die¬ 
selben zeigten, wie willkürlich Österreich mit Serbien umspringe und 
daß man auch Österreich-Ungarn und nicht bloß uns zur Mäßigung 
ermahnen sollte, erklärte Sir Charles: die englische Regierung erkenne 
an, daß unsere Haltung in letzter Zeit vollkommen korrekt gewesen sei; 
tatsächlich wäre es notwendig, daß Österreich („dont les agissements 
nous degoutent“, wie er sagte) sich mäßige. Aber man müsse Österreich 
jetzt schonen. „Denn die Haltung Österreichs — ich sage das Ihnen 
persönlich und ganz vertraulich — erscheint uns bedenklich. Sie ist 
bizarr“, wir können sie nicht verstehen und nicht begreifen, welches 
die Absichten Österreichs sind. Es hat Rußland geantwortet, daß es 
zur Konferenz kommen werde, aber unter der Bedingung, daß in dieser 
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