Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

Nr. 35. 
Der serbische Geschäftsträger Gruitscb, London, 
an das Ministerium des Äußern in Belgrad. 
Pov. br. 1/187. London, den 7./20. November 1908. 
Heute habe ich den mir in Ihrem Telegramm von gestern abend er¬ 
teilten Auftrag ausgeführt. In Abwesenheit Sir Edward Greys habe ich 
Sir Charles Hardinge besucht, nachdem ich ihm eine Erklärung im 
Sinne Ihrer Weisung abgegeben, habe ich ihm auf sein Verlangen eine 
Aufzeichnung darüber als aide mémoire zurückgelassen. — Ich will so¬ 
gleich bemerken, daß Sir Charles mit sichtlicher Mißstimmung den letz¬ 
ten Absatz zur Kenntnis nahm, in welchem von der Verantwortlichkeit 
der Großmächte die Rede war. Er bemerkte ziemlich scharf, daß wir 
ja nichts zu fürchten hätten, da auch Österreich seine Truppen von 
der Grenze zurückgezogen habe. Ich antwortete, daß wir gegenteilige 
Berichte hätten. Zum Belege dessen werde ich Sir Charles morgen die 
Angaben in Ihrem heutigen Telegramme mitteilen (über die mit Muni¬ 
tion beladenen Schleppschiffe, die in den letzten Tagen in der Richtung 
nach Belgrad und Schabatz abgegangen sind, sowie über die Verteilung 
neuer österreichischer Truppen an der Grenze). 
Im Laufe des Gespräches sagte mir Sir Charles, er konstatiere mit 
Befriedigung, daß wir jetzt verständiger seien (plus raisonables), als wir 
es früher gewesen. Auf meine Bemerkung, daß unsere Haltung sich 
nicht geändert habe und daß wir von Anfang an entschlossen gewesen 
seien, ruhig die Konferenz abzuwarten, erwiderte Sir Charles, daß die 
Manifestationen und Reden, welche früher stattgefunden haben, nicht 
als Beweis unserer Mäßigung hätten dienen können. Er fügte hinzu, 
daß wir nicht das Unmögliche verlangen sollten. Als ich ihn fragte, 
ob er unsere Forderung territorialer Kompensationen als etwas Der¬ 
artiges ansehe, antwortete er bejahend. Denn, sagte er, Österreich werde 
keine Territorialkompensation ohne Krieg gewähren. Keine einzige 
Macht aber würde deswegen sich in einen Krieg mit Österreich ein¬ 
lassen, und selbst Rußland nicht. Denn Iswolski habe, solange er hier 
war, kategorisch erklärt, daß die Bemühungen Rußlands zu unseren 
Gunsten in keinem Falle bis zu einer bewaffneten Intervention gehen 
würden. Serbien bliebe also im Falle eines Krieges isoliert und würde 
alles einbüßen. Ich erwiderte hierauf, daß im äußersten Falle die 
Mächte Mittel und Wege hätten, auch ohne Krieg Österreich nicht zu 
gestatten, seinen Willen ganz Europa aufzuerlegen. Denn wenn die 
Mächte Österreich nicht zwingen könnten, von der Annexion Abstand 
zu nehmen, so könne seinerseits Österreich die Mächte nicht zwingen, 
die Annexion anzuerkennen. — „Was für Vorteile würden Sie hiervon 
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