Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

nicht der Thronfolger dem Zaren zu übergeben, da darin von Politik 
die Rede sei, sondern der Thronfolger brauche sich einfach nur vor¬ 
zustellen. Ebenso sei es mit dem Handschreiben wegen des Ordens, 
den der König dem Zaren verliehen hat. Beide sollte ich überreichen und 
nicht der Thronfolger. Infolgedessen erörterte er und ließ Tscharikow 
rufen, damit sich auch dieser äußere, wie sich der Charakter der Mis¬ 
sion des Thronfolgers ändern könne, sobald man erkläre, daß dieselbe 
nur eine private zu sein und zu bleiben habe, meine aber eine politische. 
Nach einer langen Auseinandersetzung und nachdem Tscharikow sich 
bemühte, eine Form zu finden, mit der Iswolski einverstanden wäre, 
wurde beschlossen, daß das Handschreiben des Königs, das an den 
Zaren gerichtet war, vom Thronfolger zu überreichen sei, weil von 
diesem Briefe keine Abschrift vorhanden sei, und man ihn als einen 
persönlichen, königlichen Brief an den Zaren betrachten könne, das 
Handschreiben über die Ordensverleihung hingegen hätte ich zu über¬ 
reichen, denn es lag eine Abschrift bei, und man betrachte daher dieses 
Handschreiben als politisch. Doch sollte ich noch vorher die Ermächti¬ 
gung des Königs einholen. Auf diese Art bliebe es bei der ersten Ent¬ 
scheidung, daß der Besuch des Thronfolgers einen privaten, meiner da¬ 
gegen einen politischen Charakter habe; während es umgekehrt, d. h. 
wenn der Thronfolger Orden und Handschreiben übergeben hätte, dem 
privaten Charakter eines Besuches entsprechender gewesen wäre, wenn 
er das eigenhändige Königliche Handschreiben dem Zaren und ich den 
Orden übargeben hätte. Aber Iswolski wünscht um jeden Preis etwas 
zu ändern und Tscharikow hat sich damit einverstanden erklärt. 
Dieser ganze Vorfall beweist, daß Iswolski vor einem Schritt zurück¬ 
schrickt, der Österreich unangenehm sein könnte; daher wünscht er die 
bosnische Frage in freundschaftlicher Weise ohne Streit zu lösen. Mit 
anderen Worten: er wird auf alles eingehen, was Österreich will. 
Die Unterredung dauerte annähernd 1I/2 Stunden. Nachher wurde ver¬ 
abredet, daß ich um 5 Uhr mit Tscharikow die Besprechungen fortsetzen 
sollte, was auch geschah. Tscharikow sagte, Serbien solle sich ruhig ver¬ 
halten und Österreich in Fragen von geringerer Bedeutung nicht reizen 
und keinen begründeten Anlaß geben, daß Österreich Serbien demütige 
oder gar ohne Kriegserklärung besetze und es dadurch für die Beleidi¬ 
gung strafe. Aber er sagte auch, meine Gesichtspunkte in dieser Frage seien 
gänzlich neu, und es sei sehr gut, daß ich gekommen sei und daß sie (die 
Russen) darüber nachdenken und sich die Frage vorlegen können, ob es 
nicht besser wäre, nicht auf die Konferenz zu gehen, wenn man für 
Serbien und Montenegro keine Gebietserweiterungen durchsetzen könne. 
Ferner, daß es sehr gut sei, daß wir uns der Türkei genähert und sie 
überzeugt hätten, daß wir von ihr keine Kompensationen wollen. Im all¬ 
gemeinen spendete er mir in allem Beifall. Nun, wir werden sehen, was 
geschehen wird. 
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