Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

Nr. 392. 
Der serbische Gesandte Wesnitsch, Paris, 
an das Ministerium des Äußern in Belgrad. 
Pov. br. i3g. Paris, den 16-/2 9. Dezember 1913. 
Aus ziemlich zuverlässiger Quelle ist die Nachricht hier eingetroffen, 
daß in Deutschland in naher Zukunft ein Wechsel im Reichskanzler¬ 
posten eintreten wird. An die Stelle des Herrn v. Bethmann-Hollweg 
soll FürstLichnowsky, der heutige Botschafter in London, kommen1).— 
Nach derselben Quelle hätte dieser Wechsel eine möglichst starke An¬ 
näherung an Rußland auf Kosten der Türkei zu bedeuten. Und da diese 
Annäherung an Rußland nicht denkbar ist, ohne Schwächung des 
Zweibundes, so würde sie sich sozusagen auf Kosten Frankreichs voll¬ 
ziehen. In den hiesigen Kreisen wird diese Tendenz ziemlich ernst ge¬ 
nommen und wird in ihr unzweifelhaft auch einer der Gründe liegen, 
weshalb Herr Delcassee sich beeilt hat, auf seinen Posten nach Peters¬ 
burg zurückzukehren. — Fürst Lichnowsky hat unbestreitbar Erfolg 
gehabt mit seiner Aufgabe, die darin bestanden hat, Mißverständnisse 
zwischen England und Deutschland auszugleichen und darauf hinzu- 
wirken, daß England nach Möglichkeit von einer weiteren Annäherung 
an Frankreich zurückgehalten werde, worüber ich die Ehre hatte, Ihnen 
im Frühjahre aus London zu berichten. Da er gleichzeitig persona 
grata am Berliner Hofe ist, einer der reichsten politischen Persön¬ 
lichkeiten in Deutschland, germanisierter Pole, verheiratet mit einer 
vornehmen bayerischen Dame, so ist diese Kombination (von der übri¬ 
gens auch die Zeitungen vor einem Monat gesprochen haben), sehr 
wahrscheinlich. Eine andere Frage ist es, ob und inwieweit er Erfolg 
haben wird. 
Nr. 3g3. 
Weisung des serbischen Ministerpräsidenten 
Paschitsch, Belgrad, an den serbischen Gesandten 
Wesnitsch in Paris. 
(Ohne Datum.) 
Versichern Sie die französische Regierung, daß wir keineswegs die 
Absicht haben, größere Bestellungen nach Deutschland gelangen zu las¬ 
sen. Auch sind wir weit davon entfernt, auch nur in Gedanken 
unsere Beziehungen und das Vertrauen zu lockern, wel¬ 
che uns an Frankreich binden. 
1) Kein Mensch hat in Deutschland je daran gedacht. Man sieht wieder daraus, wie 
unzuverlässig die Berichterstattung Wesnitschs war. 
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