Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

darüber klar, daß dieses sein Exposé recht unbedeutsam ist. Man wollte 
lediglich damit die österreichischen amtlichen Kreise bezüglich der bis¬ 
herigen Haltung der deutschen Regierung, die sich oft im starken Wider¬ 
spruche mit der österreichischen Regierung befand, beruhigen; auch 
war es der deutschen Regierung angenehm, daß Graf Berchtold in 
seinem Exposé die Unstimmigkeiten bezüglich des Bukarester Friedens 
stillschweigend überging. Man wollte endlich auch dadurch dem Grafen 
Berchtold seine Stellung in den Delegationen erleichtern und auch, für 
den Fall, daß er bereits jetzt zurücktreten sollte, ihm den Abgang an¬ 
genehmer gestalten. Man rechnet nämlich hier schon seit langem, daß 
sein Nachfolger Graf Tisza sein wird. 
Der deutsche Reichskanzler wird anfangs nächster Woche ebenfalls 
eine Rede über die äußere Politik im Reichstage halten, aber sie wird 
insofern nicht von besonderem Interesse sein, als er ebenfalls aus dem 
Rahmen allgemeiner Redensarten nicht herauszutreten gedenkt. 
Wie ich Ihnen schon berichtet habe, erscheint die Kandidatur des 
Prinzen Wied zum Fürsten, doch noch nicht zum Könige von Al¬ 
banien, gesichert. Der deutsche Kaiser war anfangs sehr dagegen, 
hat sich aber dann auf Drängen des Auswärtigen Amtes und mit Rück¬ 
sicht auf die Bundesgenossen wider Willen dazu bequemen müssen, sich 
mit dieser Kandidatur einverstanden zu erklären. Als vor einigen Tagen 
der Prinz bei ihm in Audienz war, empfing er ihn mit den Worten: 
„Sie wünschen mein Kollege zu werden und es wird gar nicht lange 
dauern, so werden Sie mich, mit Revolver und Jatagan umgürtet, wieder 
besuchen.“ 
Wie ich höre, hat sich der Prinz bereits einen Lehrer für die alba¬ 
nische Sprache vom hiesigen orientalischen Seminar erbeten. Der Arme, 
wenn ihm das alles nur nicht übel bekommt! 
Anläßlich der Anwesenheit des russischen Ministerpräsidenten TCokow- 
zew in Berlin hat man mit ihm hier einen freundschaftlichen Ge¬ 
dankenaustausch gepflegt, wobei sich Kokowzew besonders bemühte, die 
deutsche Regierung für eine energische Aktion in der armenischen 
Frage zu gewinnen. Obwohl der türkische Widerstand bezüglich dieser 
Frage ein sehr starker ist, so wollen diesmal die Großmächte darauf 
keine Rücksichten nehmen. 
Nur in der Frage der Entsendung der deutschen Militärmission nach 
der Türkei hat Kokowzew darüber seine Bedenken nicht verhehlt. 
Im allgemeinen hat der russische Ministerpräsident wegen seiner allzu 
großen Gesprächigkeit hier nicht den besten Eindruck hinterlassen. 
Die Verhandlungen mit Djawid Bey verlaufen sehr langsam und es 
waren auch ziemliche Schwierigkeiten zu überwinden, namentlich der 
Franzosen wegen, aber man wird trotzdem zu einer Verständigung ge¬ 
langen, jedoch kaum vor Mitte Dezember, während, wie ich höre, die 
Finanzkonferenz in Paris kaum vor Mitte Januar zusammentreten wird. 
39s
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.