Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

nischen Frage rechtfertigte, diese Politik sei notwendig, denn wie man 
früher von einem deutschen Drang nach dem Osten gesprochen habe, 
so bestehe jetzt ein slawischer Drang nach dem Westen, gegen welchen 
sich Österreich wehren müsse. 
Nr. 296. 
Der serbische Gesandte Jowanowitsch, Wien, 
an das Ministerium des Äußern in Belgrad. 
Wien, den 3./i6. April 1913. 
Ismael Kemal, der Präsident der provisorischen albanischen Regierung, 
ist aus Rom in Wien eingetroffen. Er hat alle Vertreter der europäischen 
Staaten aufgesucht, dann endlich bequemte er sich, auch mich zu be¬ 
suchen. Wir haben lange über allerlei konversiert, und ich glaube Ihnen 
aus dieser Unterredung folgendes mitteilen zu sollen: 
1. Nach seiner Meinung wird jenes Albanien, wie es die Großmächte 
herrichten, für ein langes Leben nicht geeignet sein. Der Norden ist un¬ 
fruchtbar und in der Gewalt unruhiger Rebellen, der Süden wenig ge¬ 
räumig und die guten Teile werden bei Griechenland und Serbien blei¬ 
ben. Darum ist er fortgegangen, um in die weite Welt zu rufen, ob 
noch etwas zu retten sei. Er bediente sich folgenden Gleichnisses: „Wie 
ein kranker Mensch, der sich operieren lassen muß, immer leidet und 
dem leichter ist, wenn er jemand bei sich hat, so geht es mir auch.“ Er 
sprach darüber in Rom und sagte es auch hier dem Grafen Berchtold 
und wird es auch noch in Paris und London sagen, wenn er auch nicht 
besonders an seine Mission glaubt. 
2. Alle Elemente in Süd- und Nordalbanien sind, so wie die in Kon¬ 
stantinopel, darin einig, daß sie ein lebensfähiges Albanien brauchen, 
mit anderen Worten: daß sie auch etwas von den fruchtbaren Land¬ 
strichen erhalten, die die Verbündeten besetzt haben. Er besitzt auch die 
Siegel aller hervorragenden Albanesen, in deren Namen er unterhandelt. 
3. Der Kongreß in Triest war eine abgekartete Sache ohne Bedeu¬ 
tung, die Teilnehmer Leute ohne Einfluß oder Gewicht; viele von ihnen 
waren von der Wiege an in verschiedenen Schulen und Orten Stipen¬ 
disten der gastfreundlichen Monarchie, wissen nichts von den Bedürf¬ 
nissen des Volks und verstehen nichts von den nationalen Angelegen¬ 
heiten. 
4 Prätendenten gibt es viele, aber kein einziger ist ernstzunehmen. 
Der Herzog von Montpensier ist persönlich nach Valona gekommen und 
hat seine Kandidatur angemeldet und hat geradezu sich auf Anraten des 
Prinzen Ghika, der sein Freund ist, zum Herrscher von Albanien aus- 
rufen lassen wollen, die provisorische Regierung aber hat den Herzog
	        
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