Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

was sich schon bei vielen Gelegenheiten gezeigt hat. Das beste Beispiel 
aber sei dessen antislawische Politik in der Frage von Bosnien und der 
Herzogewina und die Proklamation der bulgarischen Unabhängigkeit 
gewesen. Rede ich den Russen davon, daß es sehr zweifelhaft ist, ob 
ein in die Nähe von Konstantinopel vorgeschobenes Bulgarien für Ru߬ 
land und für dessen Politik von Nutzen sein kann, so antworten sie 
mir, ein Volk von 170 Millionen habe keine Ursache, sich vor einem 
Volke von 7 Millionen zu fürchten. 
Bei dieser Gelegenheit klärte ich auch Herrn Delcasse über die Ge¬ 
rüchte auf, an Hand Ihrer Depesche, daß wir ein Bündnis mit Griechen¬ 
land schließen. Jetzt werden sich die Bulgaren ein wenig auf die Inter¬ 
essen ihrer Verbündeten und auf die Interessen anderer überhaupt be¬ 
sinnen. In ihrer Verblendung glauben sie, daß es keine anderen Inter¬ 
essen gäbe als die ihrigen und daß nur diese befriedigt werden müßten. 
Mittlerweile hat Serbien nur zu viele Beweise seiner Rücksichtnahme auf 
seine Verbündeten gegeben, indem es mehr als vier Monate bloß ihret¬ 
wegen Krieg geführt hat, obwohl seine militärische Aufgabe längst be¬ 
endet war. 
Ich habe Herrn Delcasse dies alles gesagt, weil mir der Korrespondent 
der „Times“ erzählte, daß er ein Freund der Bulgaren ist. Als ich mit 
ihm darüber sprach, hörte er mich aufmerksam an und sagte, er werde 
darüber nach Paris berichten und daß er gehört habe, der Kaiser von 
Rußland werde Schiedsrichter zwischen uns sein müssen, wenn wir uns 
nicht selbst untereinander verständigen könnten. 
Vor einigen Tagen unterhielt ich mich auch mit dem rumänischen Ge¬ 
sandten. Er ist der Ansicht, daß die serbischen und rumänischen Inter¬ 
essen identisch sind und daß diese mit der unverhältnismäßigen Ver¬ 
größerung Bulgariens kollidieren, welche das Gleichgewicht auf dem 
Balkan stören kann. Deshalb glaubt er, daß wir uns einander nähern 
müssen. Er habe gehofft, unser Gesandter in Bukarest, Herr Ristitsch, 
werde, als er vor einiger Zeit in Belgrad war, mit einer bestimmten 
Mission zurückkehren. Die Bulgaren merkten sehr wohl die guten Be¬ 
ziehungen zwischen Serbien und Rumänien und gäben deshalb in der 
Silistriafrage klein bei. Aus dieser Unterredung sehe ich, daß Rumänien 
Silistria bekommen wird. Mittlerweile sagte mir heute der Gehilfe des 
Ministers, Herr Neratow, dies sei noch nicht definitiv abgemacht, sondern 
sei bloß eine Kombination, aber hier spricht man davon, daß Rußland 
Rumänien mit der Abtretung von Silistria gewinnen will und daß es in 
dieser Frage sich' von der Politik leiten lasse, Rumänien sich und dem 
Dreiverband näherzubringen. Der rumänische Gesandte erzählte mir auch, 
daß der rumänische Kronprinz bald herkommen werde, um dem Gro߬ 
fürsten Nicolai Michailowitsch, der dem König den Marschallstab über¬ 
reicht habe, seinen Besuch zu erwidern. Der deutsche Botschafter sagte 
mir vor einigen Tagen, indem er die österreichische Politik in der alba¬ 
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