Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

die Erbitterung der Massen und die Art, wie sie sich manifestiert, aber 
er könne nicht begreifen, wie sich einige unserer Staatsmänner von ihr 
mitreißen lassen. Bei dieser Gelegenheit sagte er, er habe sich über 
Herrn Wesnitsch bei seiner Zusammenkunft in Paris wundern müssen 
,par ses vues violentes'. Wir müssen vielmehr darüber im reinen sein, 
daß Bosnien und die Herzegowina für uns längst verloren waren, demi 
Österreich hätte ja diese Provinzen niemals an die Türkei zurückgegeben, 
und noch weniger uns abgetreten, ohne Krieg. Auch hätte sich weder die 
Türkei noch irgendeine Großmacht deswegen zu einem Krieg mit Öster¬ 
reich verstiegen und Serbien allein könne doch an einen Krieg nicht ein¬ 
mal denken! Krieg würde für Serbien bedeuten un coup de tête, un 
suicide. Und deshalb können alle bisher auf unserer Seite getroffenen 
Vorkehrungen uns nicht nützen, sondern unsere Sache bloß kompromit¬ 
tieren. Ich lese in den Blättern, sagte er, daß die Skupschtina dem 
Kriegsministerium einen Kredit von 16 Millionen Franken zur Ver¬ 
fügung gestellt hat. Eine solche Maßregel wird höchstens die Gemüter 
in Serbien noch mehr reizen und im Auslande die Überzeugung befesti¬ 
gen, daß Ihr nicht hören wollt les conseils de la raison, denn glaubt nur 
ja nicht, daß sich mit 16 Millionen Franken Krieg führen läßt! 
Würde man in Serbien die vollzogene Annexion kaltblütiger betrachten, 
so hätten wir Ursache, mit ihr zufrieden zu sein, denn für uns und unsere 
Zukunft ist die Tatsache von höchster Wichtigkeit, daß Österreich der 
Türkei den Sandschak Novibazar zurückgegeben hat, denn damit ist das 
Vordringen Österreichs nach Saloniki für immer abgeschnitten. Kehrt 
erst in der Türkei die Ordnung zurück und geht ihre Entwicklung den 
normalen Gang, dann wird sie selbst ein großes Hindernis für das Vor¬ 
dringen Österreichs bilden; sollten sich aber die Hoffnungen, welche 
man auf die Türkei setzt, nicht erfüllen, sollte le moment du démem¬ 
brement de la Turquie kommen, dann wird der Sandschak, dessen na¬ 
türliche Nachfolger wir sind, uns zufallen müssen. Mit der Rückgabe des 
Sandschaks gewinnen wir aber auch insofern, als Österreich damit sein Recht 
auf seine Eisenbahn verloren hat und die unserige (die adriatische) gesichert 
ist, wenn auch im Augenblick nicht davon gesprochen werden darf. 
Überdies ist das Resultat der Annexion, daß sie das Nationalbewußtsein 
bei uns und den übrigen Serben außerhalb des Königreiches aufgerüttelt 
und uns wenigstens moralisch geeinigt hat. Die Annexion hat uns die 
kleinlichen Gegensätze vergessen lassen, die uns mit Montenegro entzweit 
haben und wir haben uns ausgesöhnt. Endlich können wir noch auf 
etwaige andere Kompensationen hoffen, welche unsere ökonomische und 
politische Zukunft sicherstellen werden, und Iswolski ist überzeugt, daß 
diese unsere Zukunft Großes verspricht. Jedenfalls können wir 
versichert sein, daß er alles Mögliche tut und tun wird, um unsere Inter¬ 
essen zu schützen und gewisse Kompensationen zu erlangen. In dieser 
Hinsicht verwirft er keineswegs die Frage einer territorialen Entschädi¬
	        
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