Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

Nr. i3. 
Der serbische Geschäftsträger Gruitsch, London, 
an das Ministerium des Äußern in Belgrad. 
, , , 3o. September n 
London, den —- 1908. 
13. Oktober 
Wie ich die Ehre hatte, Ihnen telegraphisch mitzuteilen, hatte ich 
heute eine Zusammenkunft mit Herrn Iswolski, der meiner Bitte, mich zu 
empfangen, sehr zuvorkommend nachgekommen ist. Seine ersten Worte 
nach der Begrüßung waren, es sei ihm lieb, sich mit mir zu besprechen, 
denn unter den heutigen Umständen können solche Besprechungen von 
allgemeinem Nutzen sein. Unser Gespräch dauerte gegen 4o Minuten, 
und ich lege Ihnen hier den Hauptinhalt vor. 
Herr Iswolski verhehlte nicht seinen Unwillen gegen Österreich und 
protestierte auf das energischste gegen die Behauptung, als ob er der 
Annexion zugestimmt hätte. Nicht bloß einmal — sagte er —, sondern 
wenigstens zehnmal hat Österreich bis jetzt im Laufe der letzten Jahre 
uns sondiert bezüglich der Annexion, allein die darüber geführten Ver¬ 
handlungen blieben immer ganz resultatlos, und wir antworteten 
immer, diese Frage könnte erst nach vorausgehender Zustimmung der 
Signatarmächte des Berliner Vertrages gelöst werden. 
Hinsichtlich Bulgariens sagte Iswolski, daß es mehr verloren als ge¬ 
wonnen habe, denn verloren hat es die Sympathien Europas und be¬ 
sonders die Sympathien und Hilfe Rußlands, was es in Zukunft sehr 
zu seinem Schaden fühlen wird. „Ich weiß,“ sagte er, „bei Euch glaubte 
man, daß wir den Bulgaren geneigt sind und sie besonders begün¬ 
stigen. Ich gebe auch zu, daß es sich einst wirklich so verhielt, und 
kann dies damit erklären, daß Bulgarien unsere Schöpfung war, und 
daß wir infolgedessen uns für verpflichtet hielten, es in seiner Entwicke¬ 
lung zu befördern. Mit seinem gegenwärtigen Vorgehen aber hat uns 
Bulgarien von dieser Verpflichtung gelöst, und es wird Gelegenheit 
haben, die Folgen dieser unserer veränderten Haltung zu spüren.“ 
Bezüglich Österreichs verurteilte Herr Iswolski neuerlich dessen Vor¬ 
gehen und sagte, er verstehe die Politik Baron Aehrenthals nicht Vom 
rein österreichischen Standpunkt ist die Annexion ein großer Fehler, 
denn wegen ihr wird sich Österreich auf seinem eigenen Territorium 
schweren Verlegenheiten aussetzen, und der Erfolg in der äußeren Politik 
wird eine noch engere Entente zwischen Rußland, Frankreich und 
England sein. 
Was Serbien betrifft, so findet Herr Iswolski, die Annexionsfrage 
müsse von uns kaltblütig behandelt werden und von einem praktischen 
politischen Standpunkt, nicht aber von einem sentimentalen. Er verstehe 
iS
	        
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