Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

Hingegen werden Bulgarien und Österreich auf das schärfste angegrif¬ 
fen. Nach den Worten, in denen die „Times“ das Vorgehen Österreichs 
als „Jesuitical casuistry and political cynism“ charakterisiert, kann man 
auf den Ton der übrigen Blätter schließen. — Der König persönlich ist, 
wie ich unterrichtet bin, sehr erzürnt und findet, daß er samt seiner Re¬ 
gierung einfach von Österreich übertölpelt worden sei (düpiert). — Auf¬ 
gefallen ist mir, daß die hiesige Presse bei Behandlung dieser Frage 
fast gar keine Rücksicht auf uns und den möglichen Rückschlag der Er¬ 
eignisse auf Serbien nimmt. Hierüber fand sich kaum eine Erwähnung 
in einem der Blätter und auch das nur ganz en passant. Das Hauptinter¬ 
esse wendet sich der Frage zu, was die Türkei machen werde, und das 
Hauptbestreben ist darauf gerichtet, der Türkei die Überzeugung beizu¬ 
bringen, daß sie nichts machen solle. Um so größere Sensation hat die 
in den hiesigen Abendblättern veröffentlichte Nachricht von der Einberu¬ 
fung unserer Reserven hervorgerufen. Diese Nachricht wird noch nicht 
kommentiert, aber die Gesandtschaft hat schon die Besuche einiger Re¬ 
porter erhalten, von denen kein einziger von der Richtigkeit 
der Aufklärung, die ich ihnen in Gemäßheit Ihrer tele¬ 
graphischen Instruktion gab, überzeugt schien. Bei einigen be¬ 
merkte ich Verwunderung darüber, weshalb und inwieweit Serbien 
eigentlich an der Annexionsfrage interessiert sei. Da es mir ohne In¬ 
struktion unmöglich war, detaillierte Informationen zu geben, und ich 
es für nötig hielt, daß das hiesige Publikum mit unserer Auffassung be¬ 
kannt gemacht werde, so habe ich einige der Reporter an Herrn W. Sa- 
witsch verwiesen, der als Privatmann und Journalist von Beruf in der 
Lage war, den Journalisten ausführlichere und weniger reservierte Auf¬ 
klärungen zu geben. — 
Schließlich glaube ich, daß Sie noch folgendes interessieren dürfte: 
Die Nachricht von der unmittelbar bevorstehenden Unabhängigkeitserklä- 
rung Bulgariens und der Annexionserklärung Bosniens seitens Öster¬ 
reichs, hat mir am Sonntag abend der Korrespondent des „Figaro“ ge¬ 
bracht, der mit der hiesigen französischen Botschaft in enger Verbin¬ 
dung steht. Er sagte mir, daß ihn die Botschaft besonders zu sich 
berufen habe, um ihm diese Nachrichten mitzuteilen, und daß sie 
ihn auf Anweisung von Paris aus um möglichst rasche Verbreitung 
derselben am hiesigen Platze ersucht habe. Wie der Korrespondent 
hinzufügte, wäre es die Absicht der Botschaft gewesen, möglichst 
großen Lärm zu machen, um wenigstens auf diese Weise zu versuchen, 
auf den Fürsten von Bulgarien und auf Österreich einzuwirken. Dieser 
Plan erscheint mir zwar ziemlich naiv, zeigt aber, wie sehr man in 
Paris überrascht und pris au dépourvu war — ebenso wie hier im 
Foreign Office, wo man während des ganzen Samstages keine Ahnung 
von den bevorstehenden Ereignissen hatte. 
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