Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

und für die ökonomische und politische Unterwerfung Serbiens ange¬ 
sehen. Wir wüßten aus Erfahrung, was die Nachbarschaft Österreichs 
für uns bedeute und deshalb könnten wir nur zittern vor einer Er¬ 
weiterung seiner Grenzen nach unserer Seite hin. Einer der Gründe, 
welche Österreich auf dem Berliner Kongresse zugunsten der Okkupation 
angeführt habe, sei der gewesen, daß es zu seiner eigenen Sicherheit 
die Ruhe und Ordnung in den seine Grenzen berührenden türkischen 
Provinzen wiederherstellen müsse. Jetzt, wo Bosnien und die Herze¬ 
gowina annektiert und damit die Grenzen der österreichisch-ungarischen 
Monarchie erweitert seien, werde derselbe Grund eventuell von Öster¬ 
reich zugunsten der Okkupation neuer türkischer Gebiete gebraucht wer¬ 
den können, namentlich in dem nicht unwahrscheinlichen Falle, daß neue 
Unruhen und Verwicklungen in Mazedonien eintreten sollten. Wir seien 
1876 Bosniens wegen in den Krieg gezogen; 1878 hätten wir von neuem 
für unsere und unserer Stammesbrüder Befreiung gekämpft. Nachdem 
wir so große Opfer gebracht und dennoch dem Wunsche Europas uns 
hätten fügen und die Okkupation annehmen müssen, sei es begreiflich, 
daß große Erbitterung in unserem ganzen Volke Platz greifen müsse, 
wenn die zeitweilige Okkupation in eine dauernde Annexion umgewan¬ 
delt werde. Diese Erbitterung könne sich auch in einem Widerstand in 
Bosnien selbst manifestieren. Man könne dies um so eher erwarten, als 
die dortige Bevölkerung sich mit den Waffen in der Hand gegen die 
Okkupation gewehrt und das Walten der österreichischen Behörden 
während der letzten dreißig Jahre nicht dazu beigetragen habe, die 
Stimmung des Volkes in dieser Hinsicht zu ändern. 1878 hätten wir, 
erschöpft und isoliert, mit gekreuzten Armen dem Verzweiflungskampf 
unserer Stammesgenossen gegen ein ganzes österreichisches Heer Zu¬ 
sehen müssen; es sei fraglich, ob wir jetzt eine solche Eventualität 
ebenso geduldig ertragen könnten, besonders wenn man die schwere 
Lage in Betracht zieht, in welche die Regierung geraten werde, wenn 
die nationalen Gefühle unzweideutig und mächtig im ganzen Lande 
zum Ausdruck gelangen werden, woran nicht zu zweifeln sei. Uns sei 
bisher, solange die europäische Reformtätigkeit in der Türkei andauerte, 
oft und in allen Tonarten anempfohlen worden, uns ruhig zu verhalten 
und nichts zu unternehmen, was die Reformaktion hätte hindern kön¬ 
nen; viele Male sei uns auch verkündet worden, daß Europa in keiner 
Weise eine Änderung des Status quo auf dem Balkan zulassen werde. 
Wir haben diese Ratschläge befolgt, so schwer uns dies auch bei so 
manchen Gelegenheiten gefallen ist. Als Lohn für unsere korrekte 
Haltung sehen wir nun, wie eine der Mächte, die uns am häufigsten zu 
Ruhe und Besonnenheit mahnte, den Status quo zu ihrem ausschlie߬ 
lichen Vorteil und unter Schädigung unserer wesentlichsten Interessen 
verschiebe. Deswegen hoffen wir auch, daß die anderen Mächte und 
besonders England, dessen Unparteilichkeit uns bekannt sei, den Ge¬ 
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