Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

erster Stelle Österreich-Ungarn mitteilte, es doch dem Wesen der Sache 
nach durch diesen seinen Schritt sich von dem Mürzsteger-Überein- 
kommen emanzipiert hat, da die Vorlage eine ausschließlich russische 
Initiative ist und es auch bis zu Ende bleiben wird. Österreich-Ungarn 
hat an der Ausarbeitung dieser Vorlage keinerlei Anteil gehabt, vielmehr 
ist dieselbe Österreich fertig vorgelegt worden, und zwar nur zur Kennt¬ 
nis und zu seiner Orientierung, nicht aber zur vorgängigen Prüfung 
und zwecks gemeinsamer Vereinbarung, so daß, wie auch immer der 
Standpunkt Österreich-Ungarns ihr gegenüber sein möge, sie seitens 
Rußlands tel quel allen übrigen Mächten mitgeteilt wird. Dies wird auch 
anscheinend geschehen, wenn es nicht schon wenigstens teilweise im 
Laufe dieser Woche erfolgt ist Der Kern der Vorlage, soweit man mit 
ziemlicher Wahrscheinlichkeit erraten kann, besteht darin, daß nicht 
nur die Reformaktion auf die gesamte Verwaltung in den drei Wilajets 
ausgedehnt, sondern auch der Schwerpunkt der Autorität und Kom¬ 
petenz von den russisch-österreichisch-ungarischen Zivilagenten auf 
die europäische Finanzkommission übertragen werden soll. — Über 
die Vermehrung der Gendarmerie und die Gouverneurfrage scheint die 
Vorlage ebenfalls Bestimmungen zu enthalten, mit denen man England 
einigermaßen entgegenkommt. Hier in Rom, wo überhaupt der rus¬ 
sische Wind jetzt stärker weht als je bisher, ist man geneigt, in allen 
Stücken der russischen Initiative zu folgen, indem man die italienische 
Balkanpolitik mit der russischen möglichst in Einklang zu bringen 
sucht. Ich habe überhaupt bisher nie Tittoni in irgendeiner wichtigeren 
Sache entschlossener gesehen als jetzt. Mir scheint, daß ich nicht fehl 
gehe, wenn ich den Grund hierfür in den Enttäuschungen suche, welche 
die trockene Wirklichkeit gezeitigt hat, indem sie sich brutal mit den 
Gedanken und Hoffnungen in Widerspruch gesetzt hat, die bei den Zu¬ 
sammenkünften in Desio und auf dem Semmering gehegt worden sind. 
Nr. 6. 
Der serbische Gesandte Wesnitsch, Paris, 
an das Ministerium des Äußern in Belgrad. 
^ . i 22. September 
Paris, den—- , — iqo8. 
o. Oktober 
... Ich setze den Bericht fort nach meiner Rückkehr von Herrn Iswolski, 
den ich Mittags besucht, und mit dem ich eine halbe Stunde gesprochen 
habe. Herr Nelidow und Herr Louis hatten ihn schon von unserer Be¬ 
unruhigung benachrichtigt, so daß er sogleich das Gespräch mit der Ver¬ 
sicherung eröffnete, daß Serbien und das serbische Volk mit jenem 
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