Volltext: Die Rainer am Cimone

i 
Donnerstag abends, 18. Mai 1916. 
Wohl dem, der den Krieg nur aus der Überlieferung 
kennt, der ihn nicht erleben mußte mit all seinen Leib und 
Seele zermürbenden, grauenhaften Schrecknissen. 
Und doch ist es ein leises Bedauern, eine gewisse 
Überlegenheit jenen gegenüber, die nicht des Front 
soldatentums teilhaftig wurden, oder gegenüber anderen, 
die mit Überlegung ihr Soldatenschicksal in ruhigere Ge 
filde zu lenken wußten. Sie alle mußten eines entbehren: 
die Frontkameradschaft, jene treue, hingebungsvolle und 
opferbereite Freundschaft, die, geboren aus der Gemein 
samkeit des Leides und der Freude, sich zu höchstem 
Menschtum entfaltete. Treue Kameradschaft war es, die 
unser Regiment von Sieg zu Sieg führte, denn aus ihr 
wuchs erst das Pflichtgefühl zu jener Größe, die es ver 
mochte, Soldatentugenden zur stärksten Entfaltung zu 
bringen. Ein unvergleichliches, aber für die Söhne Salz 
burgs und Oberösterreichs selbstverständliches Heldentum 
steigert die Leistungen und Erfolge des Regimentes zu 
unbestrittener Höhe. 
Was sind aber auch die „Rainer" für Kerle! Im Kampf 
um die eigene Scholle hart geworden, ist ihr Innerstes 
erfüllt mit einer glühenden Liebe zum heimatlichen Boden, 
zum Vaterland. Krieg bedeutet für sie eben die harte Not 
wendigkeit, heimatliche Erde, wenn es sein muß, mit dem 
Einsatz des eigenen Lebens, gegen den Feind zu ver 
teidigen. 
Was ist doch der Krieg für ein seltsam Ding! Er ent 
reißt Millionen von Menschen ihrer geregelten Tätigkeit, 
Menschen, die bisher vielleicht ohne Rücksichtnahme auf 
die Gesamtinteressen eines Staates ein zu starkes Eigen 
leben führten, die in einer Welt lebten, in der Stand, 
Rang und Geburt für die Wertung eines Menschen ent 
scheiden; er schweißt sie zu einem Block, zu einer Gemein 
schaft, in der jeder einzelne, losgelöst von Dingen der 
materiellen Welt, sich widerspruchslos einem Willen unter 
ordnet und nur ein Ziel kennt: den Sieg. Eine nach solchem 
Ziele gerichtete Schicksalsgemeinschaft vermag allerdings 
Großes zu leisten. 
Und in der Tat! Es war ein furchtbares und erbittertes 
Ringen um den Sieg! Und dennoch, er war unser! Die 
erste Etappe der Durchbruchsschlacht bei Folgaria ist be 
endet, der Widerstand der Italiener auf der ganzen 
Linie gebrochen. 
Wir stehen noch unter dem Eindruck der Geschehnisse 
der letzten drei Tage. Die Erinnerung an die grausigen 
Bilder des wilden Kampfes nimmt uns gefangen, läßt uns 
nicht los. Und wir haben Muße nachzudenken. 
Unsere Schwarmlinie verläuft, notdürftig eingegraben, 
hinter Steinen und Bäumen gedeckt, in einer großen 
Senke. Ihr rechter Flügel lehnt sich an die steilen Ost 
hänge des Coston d’Arsiero an, ihr linker Flügel endet 
bei einem Straßenstück nahe Baiti delle Fratte und hat 
halblinks vor sich einen gegen Norden mäßig ansteigen 
den, teilweise bewaldeten Rücken, dessen steiler West 
abfall, von unserer Schwarmlinie aus gesehen, als langes 
Felsband in Erscheinung tritt. 
Nur hie und da unterbricht ein Schuß aus der Schwarm 
linie die unheimliche Stille einer sternenhellen Nacht. Die 
Muße verstärkt die Konzentration, mit der wir unseren 
Gedanken nachhängen. 
Wir denken an den Freund, an den Kameraden, dem 
das Schicksal eine glückhafte Heimkehr versagt hat. Wir 
sehen ihn votf uns liegen, wie ihn die welsche Kugel gefällt. 
Ein Augenblick genügt, um das grauenvolle Bild in unserer 
Erinnerung festzuhalten. Und es ist fast immer dasselbe. 
Diesmal eine furchtbare Verletzung im Gesicht; es scheint 
eine einzige Wunde zu sein. Das mit Blut besudelte 
leichenfahle Gesicht mit den halbgeöffneten Augen und 
dem offenen Mund wird zur zähnefletschenden Grimasse; 
eine halb erhobene Hand, im Todeskampf gekrampfte 
Finger, sie sind die letzten Gesten eines entfliehenden 
Lebens, eine stumme Anklage gegen das Schicksal. 
Und wieder ein anderes Bild ist uns in frischer Erinne 
rung. Heute früh war es. Die 1. Komp, ist Baonsreserve 
etwa vierzig Schritte hinter der Mitte der Schwarmlinie. 
Todmüde von den Strapazen des Kampfes am Coston 
d’Arsiero haben sich die Mannschaften am Waldboden 
zur Ruhe ausgestreckt. Kein Tritt, kein Laut unterbricht die 
unheimliche Stille des anbrechenden Morgens. Das mono 
tone Schnarchen müder Schläfer, hie und da ein Auf 
schrei einer von schweren Träumen gequälten Seele, sie 
sind die einzigen Zeichen pulsierenden Lebens. Auch in 
der nahen Schwarmlinie herrscht Totenstille. 
Oblt. N a k e, dem diese Situation einiges Unbehagen 
bereitet, überzeugt sich von der Wachsamkeit der Posten 
und bespricht mit Lt. H u e b e r alle Eventualitäten eines 
feindlichen Angriffes. Schon beginnt es zu grauen. 
Plötzlich setzt ein heftiges Infanteriefeuer ein. Die Ge 
schosse schwirren über unseren Köpfen in den Wald; es 
klatscht in den Bäumen. Evviva Savoja! Das infernalische 
Kriegsgeschrei der Feinde läßt einen Augenblick die aus 
dem Schlaf gestörten Reserven erschauern. Aber nur eine 
Sekunde lang. Im nächsten Moment schon laufen die
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.