Volltext: Der Feldzug im Baltikum bis zur zweiten Einnahme von Riga

Beweggründe der Landeswehr 
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hätte zum mindesten das Moment der Überraschung gefehlt. Man wird sich 
daher — wenn auch jeder Vergleich bis zu einem gewissen Grade hinkt — 
bei der Beurteilung des Entschlusses der Landeswehr zum Vorstoß auf 
Mitau wohl auf den Standpunkt des Generalfeldmarschalls Graf Moltke 
stellen dürfen, der den Sieg von Spichern (6. August 1870) dankbar an¬ 
nahm, obwohl er seinen eigenen Plänen ebenso vorgriss, wie die Einnahme 
von Mitau denen des Grafen von der Goltz^). 
Daran ändert auch der Umstand nichts, daß in beiden Fällen, bei Saar¬ 
brücken wie bei Mitau, der taktische Erfolg den Absichten der Führer wie 
den theoretischen Möglichkeiten nicht voll entsprach. Das wird da, wo der 
Wille des Feindes, Witterungs- und andere Einflüsse sowie beschränkte 
Mittel mitsprechen, oft genug der Fall sein. Der Führung und der Truppe 
kann daraus kein Vorwurf gemacht werden. 
Daß bei dem Vorgehen der Landeswehr bewußt oder unbewußt auch 
andere als militärische Erwägungen mitgesprochen haben, ist durchaus 
wahrscheinlich. Der Wunsch, die Befreiung der alten kurländischen Landes¬ 
hauptstadt selbst zu bewirken, die dort gefangenen Landsleute zu befreien 
und durch eigene Kriegstaten das Ansehen des Baltentums wiederher¬ 
zustellen, war menschlich begreiflich. 
Für den Gedanken, im Falle eines glatten Übergangs bei Kalnzem 
unmittelbar auf Riga vorzugehen, führt der Erste Generalstabsoffizier der 
Landeswehr an, daß damals die größte Aussicht auf Wegnahme der Düna- 
Brücken bestand, weil die Bolschewisten die Deutschen sicherlich nicht vor 
Riga erwarteten und die Düna zugefroren war. „Wurde erst Mitau ge¬ 
nommen und danach gegen Riga vorgegangen, so fürchtete Major Fletcher 
eine planmäßige Verteidigung der Düna-Brücken, die mit unferen Mitteln 
nur schwer überwindlich schien." Major Fletcher wollte, falls es zu einem 
Übergang über die Aa bei Kalnzem kam, Teile der Landeswehr von rück¬ 
wärts gegen Mitau ansetzen, um den Bahnknotenpunkt zu nehmen und die 
Gefangenen zu befreien. 
Auch der wohl kriegserfahrenste Unterführer des Majors Fletcher, Ritt¬ 
meister Graf Eulenburg, hatte sich vor dem Abmarsch nach Mitau 
für einen Vorstoß auf Riga eingesetzt. Er schreibt über die Gründe, die er 
damals dem Befehlshaber der Landeswehr vortrug: 
*) Graf Moltke schreibt in seinem Buch „Der Krieg 1870/71" auf S. 25: „Man 
hat nachträglich behauptet, die Schlacht von Spichern sei am unrechten Ort geschlagen 
und habe höhere Pläne durchkreuzt. Allerdings war sie nicht vorgesehen. Im allgemeinen 
aber wird es wenig Fälle geben, wo der taktische Sieg nicht in den strategischen Plan 
paßt. Der Waffenerfolg wird immer dankbar akzeptiert und ausgenutzt werden."
	        
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