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Die Befreiung Rigas
Die lettländische Regierung weist die Landeswehr an, Riga zu nehmen.
Dieses Schreiben konnte kaum in den Händen der Generalstabsoffiziere
sein, als eine neue Wendung eintrat: Der Vertreter des verschleppten
Ministerpräsidenten Needra, Minister Kupfch, hatte sich mit dem Ersuchen
um ungesäumten Vormarsch auf Riga unmittelbar an die Baltische Landes¬
wehr gewandt. Diese nahm den Gedanken mit Begeisterung auf. Das
Generalkommando sah sich damit in eine Zwangslage versetzt und half sich
, im Einklang mit einer zur gleichen Zeit eingehenden telegraphischen Mit¬
teilung des Grafen von der Goltz über das Ergebnis seiner Berliner Ver-
is. mal. Handlungen dadurch, daß es am 15. Mai zwar der Landeswehr freie Hand
gab, aber eine Beteiligung reichsdeutscher Truppen ablehnte.
Damit fiel der früher ausgearbeitete Plan einer umfassenden Operation
gegen Riga1)* Lediglich die Eiserne Division wurde angewiesen, Ma߬
nahmen zu treffen, um zu verhindern, daß „durch das Vorgehen der Landes¬
wehr ein Loch entstehe". Sie sollte daher mit der Landeswehr Fühlung
halten und zu diesem Zweck alle verfügbaren Reserven, Panzerzug V und
die Panzerkraftwagen bereitstellen. Auch wurde es als unbedenklich be¬
zeichnet, wenn die Truppe das Vorgehen der Landeswehr in jeder Weise
erleichtere und sie bei Gegenangriffen, auch durch Übernahme des Schutzes
Rigas und der Flanke, unterstütze. Der 1. Garde-Reserve-Division wurde
anheimgestellt, solche Unterstützung durch Erknndnngsvorftöße und Fesse¬
lung feindlicher Kräfte zu leisten.
Im übrigen komme es darauf an, alles zu vermeiden, was die Einnahme
Rigas als Folge eines planmäßigen Angriffs reichsdeutscher
Truppen erscheinen lassen würde. Jedes Hervortreten deutscher Kommando¬
stellen hatte zu unterbleiben, andererseits war alles zu tun, um einen Fehl¬
schlag der Landeswehr zu verhindern. Im ganzen also „eine denkbar schwie¬
rige und undankbare Aufgabe", zumal da auch der eigenen Truppe das
Verständnis für die verwickelte Lage nicht beizubringen war. Es blieb dem
Generalkommando nur übrig, durch scharf gehaltene Weisungen ein eigen¬
mächtiges Vorgehen einzelner Truppenführer zu verhindern. Daneben
bestanden schwerwiegende Bedenken, wie der — am 19. Mai befohlene —
Abtransport sich bei der 1. Garde-Reserve-Division auswirken würde, deren
Truppen zwar infolge des zahlreichen und tüchtigen Offizier- und Unter¬
offizierkorps als „so ziemlich die besten Freiwilligen-Formationen im
östlichen Grenzschutz" angesehen werden mußten, deren Mannschaften aber
auch den materiellen Einflüssen der Zeit unterworfen waren.
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