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Politisches Zwischenspiel
Dafür gärte es jetzt unter der lettischen Arbeiterschaft. Diese
hatte schon im März den Bahnhof Libau zu stürmen versucht, war aber durch
rechtzeitigen Einsatz des Panzerzuges V daran verhindert worden. Das
Gouvernement erhielt aber neuerdings vertrauliche Nachrichten über einen
von der lettischen Arbeiterschaft geplanten Aufstand. Obwohl dieser zunächst
nicht erfolgte, rechnete das Gouvernement doch mit weiteren Putschversuchen,
zumal da der Haupthetzer des bisherigen Soldatenrats, Franke, bisher nicht
hatte gefaßt werden können. Das Gouvernement hielt unter diesen Um¬
ständen außer dem Verbleib des Detachements Schauroth und des Ersatz¬
bataillons Henke die Zuführung eines zuverlässigen, nicht zu schwachen
Bataillons für erforderlich. Das Oberkommando Nord entsprach diesem vom
Generalkommando weitergegebenen Antrag durch Überweisung des West¬
fälischen Freikorps Pfeffer, des Badischen Sturmbataillons und der
Badischen Freiwilligen-Batterie Medem. Infolgedessen konnten das Detache¬
ment Schauroth und das Bataillon Henke wieder an die Front abgehen.
Die nicht feldverwendungsfähigen Teile des Bataillons Henke wurden als
Rekrutendepot in die Gegend von Grobin verlegt.
Auseinandersetzungen mit der vorläufigen Regierung.
In der Zwischenzeit waren die Erörterungen mit der lettischen Regierung
und den ausländischen Sonderkommissionen weitergegangen.
Zunächst galt es, sich mit den Versuchen der Ulmanis-Regierung abzu¬
finden, fich durch die sogenannte Zwangsmobilisierung eine eigene Macht¬
grundlage zu schaffen. Diese Bestrebungen widersprachen den früheren Ab¬
machungen, nach denen in die Landeswehr, d.h. in die Wehrmacht des
neuen Lettenstaates, nur Freiwillige eingestellt werden sollten, und waren
deshalb besonders gefährlich, weil die Truppen des VI. Reserve-Korps eben
ausreichten, um die Operationen an der Front durchzuführen. Zwischen
dieser und Libau entstand, je mehr sich die Front nach Nordosten vorschob,
ein nur durch ganz schwache Postierungen gesicherter Raum. Wurde in
diesem die von der lettischen Regierung vertragswidrig angeordnete
Zwangsmobilisierung durchgeführt, so befand sich die Fronttruppe zwischen
zwei Feuern, weil die Aufstellung lettischer Truppenteile bei der Stimmung
der Masse der Bevölkerung auf die Bildung eines bolschewistischen Heeres
hinauslief. Die Regierung versuchte die gegen die Zwangsmobilisierung
gerichteten Maßnahmen des Generalkommandos dadurch zu durchkreuzen,
daß sie sich von ihren englischen Freunden 5000 Gewehre und
200 Maschinengewehre zur Verfügung stellen ließ. Das Gouvernement
setzte aber die Verankerung des Dampfers „Saratow", auf dem die Waffen