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Politisches Zwischenspiel
geben. Er wählte ohne weiteres das erstere und gab dem im Gouverne¬
mentsgebäude anwesenden Hauptmann von Schauroth den Befehl, das
Bataillon zu entwaffnen. Hauptmann von Schauroth beauftragte mit
der Ausführung dieses Befehls die Kompanien 1. Garde-Regiment und
Elisabeth') unter dem gemeinsamen Befehl des Hauptmanns Grosse. Schon
nach 20 Minuten erhielt er die Meldung, daß der „Auftrag ohne Blut¬
vergießen in etwas mehr als zehn Minuten nach Empfang des Befehls aus¬
geführt worden sei. Drei Soldatenratsmitglieder, die aufhetzend angetroffen
wurden, seien festgenommen, die Kaserne besetzt, das Bataillon entwaffnet".
Der in der Geschichte des November-Umsturzes und seiner Folgeerschei¬
nungen fast einzig dastehende Vorgang hatte sich folgendermaßen abgespielt:
Die beiden Kompanien, die außerhalb der Stadt im sogenannten
Fürstenlager untergebracht worden waren, waren auf die Nachricht von der
unmittelbar bevorstehenden Meuterei scheinbar waffenlos nach der Ent¬
lausungsanstalt herangezogen worden, hatten aber Waffen und Munition,
unter Decken verborgen, auf Wagen mitgeführt. Außerdem war im Fürsten¬
lager die 2./1. Garde-Reserve-Feldartillerie-Regiments alarmbereit. Beide
Formationen standen mit dem im Gouvernement befindlichen Hauptmann
von Schauroth in unmittelbarer Fernsprechverbindung. Das Freikorps
Gardeschützen, das eben auf dem Bahnhof Libau eingetroffen war, wurde
nach dem Fürstenlager in Marsch gesetzt.
Als der Befehl zum Eingreifen einging, setzte sich die Kompanie von Ku-
rowski (1. Garde-Regiment) auf die Fahrzeuge und fuhr, der Führer mit
einigen Reitern an der Spitze, im Galopp nach der Kaserne. Als sie vor
dieser eintraf, versuchte der Posten, das Tor zu schließen, aber die Reiter
waren schneller als er und hielten den Zugang offen. Die Fahrzeuge jagten
auf den Kasernenhof. Die mitgenommenen Maschinengewehre wurden
freigemacht und auf die Kasernenwache und die ans dem Hofe herum¬
stehenden Leute gerichtet. „Unter dieser Drohung erstarrte alles und gab
jeden Widerstand verloren." Die Soldatenratsmitglieder Leutnant Quer
und Offizierstellvertreter Neumann sowie die Vertrauensleute der Ma-
schinengewehr-Kompanie und andere Beteiligte wurden festgenommen.
Kaum minder schnell vollzog sich der zweite Akt der Tragikomödie. Um
3° nachmittags erschien ein weiteres Soldatenratsmitglied, Franke, an der
Spitze von 50 Bewaffneten der Rekruten-Kompanie des III. Bataillons
vor dem Gouvernement, drang in das Arbeitszimmer des Gouverneurs
‘) So genannt nach den Stammregimentern, aus denen die Mehrzahl der Frei¬
willigen hervorgegangen war.