der Dolomitentäler zusehends. Es war noch nicht lange
her, seit die ersten Touristen den hohen Ruf dieser
Landschaft als Reiseziel verkündet hatten, und schon
begann das Gepräge immer militärischer zu werden.
Während die Kraftwagen aller Herren Länder über die
neuerbaute Dolomitenstraße fegten, gab es diesseits und
jenseits der Grenze fast jedes Jahr größere und klei¬
nere Manöver, standen Posten da und dort, die ein
Halten der Wagen und Wanderer verboten, Tafeln, die
das Photographieren streng untersagten. In den großen
Hotels elegante Reisende, in den Festungswerken und
Hochlagern Soldaten. Europa nahm auch hier langsam,
aber sicher sein wahres Antlitz an, das strenge, herbe
Gesicht, das eine neue Zeit ankündigte.
2.
Hätten die Pläne Conrad von Hötzendorfs sich er¬
füllt, so wäre der Krieg in den Dolomiten trotz allem
eine geringfügige Episode geworden. Einige Wochen
Grenzschutz, vielleicht ein verzweifelter Versuch der Ita¬
liener, ins Pustertal vorzubrechen; dann aber hätte der
geplante Stoß aus dem Südzipfel Tirols heraus diese
Front zum Einsturz gebracht, wahrscheinlich eh* sie sich
hätte schließen können. Denn der Anmarsch der italieni¬
schen Streitkräfte mußte sich in den wilden, unwegsamen
Tälern des Cordevole, des Boite und zahlreicher an¬
derer Einbruchstellen stark verzögern. Jedenfalls wäre
es nie zu dem jahrelangen Belagerungskrieg gekommen,
wie er sich tatsächlich später abspielte.
So aber stand die Sache des Verteidigers im Mai
1915 auch hier schlecht, ja fast aussichtslos. Wenn die
Felsmauern der Dolomiten auch wunderbare natürliche
Hindernisse darstellten, so wehrten sie sich doch nicht
aus eigenem. Italien hatte in seinen Alpinibataillonen
vorzügliche Hochgebirgstruppen, indes der Großteil des
österreichischen XIV. Korps, dem der Kampf in Tirol
hätte anvertraut werden sollen, längst auf den galli¬
schen Schlachtfeldern zugrunde gegangen und die zweite
Garnitur dieser herrlichen Regimenter auch jetzt auf
dem nördlichen Kriegsschauplatz unentbehrlich war. Erst
52