Volltext: Alpenkrieg

und höher getragen, als gelte es, den Feind zurückzu¬ 
drängen, ihn zu verfolgen und einzuschließen dort, wo 
des Menschen Fuß nicht mehr weiter konnte, wo er an 
die Grenzen des Unberührbaren stieß: Von den höch¬ 
sten Höfen der Bergbauern wanderte das Kreuz auf die 
Almen, daß es Vieh und Leut* bewahre, und höher 
hinauf auf die Joche, auf die Gipfel, die erreichbar 
waren, die man den bösen Geistern ablisten konnte. 
Da waren sie gebannt durch das Zeichen des Glau¬ 
bens, waren in die Enge ihrer Felsnadeln und Wände 
und Eiswüsten zurückgetrieben, zur Freude der schwachen 
Menschen, die unten tief mit dem kargen Boden um ihr 
Leben rangen. 
Jahrhunderte gingen über diese reinliche Scheidung 
hinweg: Hier das Reich des warmen Lebens, dort oben 
das der Wesenlosen, der Geister und Dämonen. Es gab 
Hirten, die aus Uebermut eindrangen in das andere 
Reich. Aber da war alles anders, war grauenerfüllt und 
unheimlich. Stimmen äfften die Stimme des Menschen 
nach, machten sie groß und übergewaltig, spielten Fang¬ 
ball damit von Wand zu Wand, so daß der einsame 
Wanderer schaudernd schwieg, daß er kaum zu atmen 
wagte, um den Zorn der Wesenlosen nicht herauszu¬ 
fordern. Aber das nützte nichts. Es flüsterte und mur¬ 
melte, klopfte und klagte aus den Tiefen der Schluch¬ 
ten, es lachte und läutete mit den Wassern, die durch 
die Adern der Gletscher jagten, es schrie gellend aus 
der Kehle unsichtbarer Raubvögel und warf Steine nie¬ 
der mit dem Tritt flüchtiger Gemsen. Mancher kam 
nicht zurück. Den hatten die Geister für sich behalten. 
Wer aber wiederkehrte, der schwor, den Frevel kein 
zweites Mal zu wagen. 
So blieb es durch viele Jahrhunderte: Fromme 
Bräuche gingen von Geschlecht zu Geschlecht, das Leben 
der Menschen tief unten zu schützen. Auf den erreich¬ 
ten Gipfeln standen die Wetterkreuze, zogen den Blitz 
der Dämonen an sich, machten ihn unschädlich und hal¬ 
fen gegen Steinschlag und Lawine — viele Jahrhunderte 
lang. Bis dann die kamen, die den bösen Geistern ihr 
letztes Geheimnis entrissen, die ihre Hochburgen stürm¬ 
ten und eine neue Zeit pflanzten auf den Dolomiten- 
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