Die Besetzung der Marmolata bleibt natürlich den
Italienern nicht lange verborgen. Einige ihrer Patrouillen,
die wie im vergangenen Herbst den Aufstieg versuchen,
bekommen Feuer und müssen zurück. Für sie liegt nun
die Gefahr nahe, daß die Oesterreicher den Verlust
des Col di Lana durch die Besitznahme der Marmolata
wettmachen würden, daß sie namentlich von der Punta
Serauta aus die gleiche, ja noch mehr Sicht in das Hin-
tergelände des Col-di-Lana-Abschnittes haben als früher
von dem jetzt gesprengten Gipfel selbst. Dieser Teil des
Bergmassivs, der Ostrand wenigstens, muß ihnen um
jeden Preis entrissen werden.
Es ist nicht schwer, die Handvoll Menschen auf der
Punta Serauta und ihrer Umgebung niederzuhalten, wäh¬
rend die Alpin! aus dem Val Candiarei aufsteigen. Der
Kampf um den Col di Lana hat eine Unzahl Geschütze
aller Kaliber in der Gegend vereinigt. Ein Bruchteil die¬
ser artilleristischen Ueberlegenheit genügt, um die schwa¬
chen Postenstände wegzufegen und der Besatzung des
Felsgrates den weiteren Aufenthalt unmöglich zu machen.
Zum erstenmal schlagen Granaten in das Eis der Mar¬
molata, schwirren Schrapnellkugeln über die leuchtenden
weißen Flächen, die seit elT und je nur den Frieden
einer grenzenlosen Einsamkeit gekannt haben. Jetzt gilt
es, die Oesterreicher von einem Gegenstoß auf die Punta
di Serauta abzuhalten.
Aber dieser Gegenstoß kann nicht einmal versucht
werden. Der Verteidiger hat Mühe, sich auf der Fes-
surascharte und dem Undici zu halten, um wenigstens
den Großteil der weitläufigen Bergfestung zu behaupten.
Mehr als einmal versuchen die Alpin! nun, von der
Serautastellung aus gegen Norden und Westen vorzu¬
stoßen -- der erbitterte Widerstand der Kaiserschützen
zwingt sie immer wieder, sich mit dem Erreichten zu
begnügen. Sie befestigen den Felsgrat, bauen eine Draht¬
seilbahn in das Val Candiarei und gehen zu einem müh¬
seligen Kleinkrieg über, der ihnen Punkt für Punkt den
Kamm der Südwand bringen soll. Und damit beginnt das
eigentliche Ringen um die Königin der Dolomiten, jener
heroische Kampf im ewigen Eis, der in den nächsten
eineinhalb Jahren phantastische Leistungen und Werke,
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