Die Nacht vom 7. auf den 8. Juli verlief 'für unsere Brigade (GM. Rudolf Müller)
im allgemeinen ereignislos. Der Gegner schien — und Gefangenenaussagen bestätigten dies —
sehr schwere Verluste erlitten zu haben und ziemlich erschöpft zu sein. Weiter aber bekundeten
Überläufer, daß man drüben stündlich große aus Warschau kommende Verstärkungen erwarte,
ferner wurden Verschiebungen russischer Infanterie gegen den rechten Flügel des Infanterie¬
regiments 21 festgestellt.
Tatsächlich verdoppelten am nächsten Morgen die Russen den Artillerie- und Mannschafts¬
einsatz und begannen bald darauf ihre tiefgegliederten Massenangriffe aufs neue. Wieder wählten
sie die Bystrzycaniederung (rechter Flügel Infanterieregiment 21) als hauptsächlichsten Durch¬
bruchspunkt. Das heftige und beharrliche Feuer ans diesen Flügel hatte schwere Verluste
gefordert und machte das Heranziehen von Reserven nötig. So rückte denn die 14. Kompagnie
unter der schneidigen Führung des Lts. Köck dorthin als Verstärkung vor, aber die Schwarm¬
linie des öaslauer Regiments war bereits im Zurückgehen. Mit raschem, kaltblütigem Entschlüsse
vor diese zu stürzen, sie mit seinen herbeieilenden Braven aufzufangen und mit ihnen den vor¬
dringenden Feind kurz darauf zum Stehen zu bringen, war eins. Leider bezahlte dieser tapfere
Offizier seinen Heldenmut mit schwerer Verwundung.
Wohl wurde nun unserseits längs der ganzen Front des Regiments mit äußerster
Erbitterung und Kraftanspannung gerungen, stundenlang Angriff auf Angriff zurückgewiesen,
doch die Übermacht war zu gewaltig. Schließlich, am Vormittage des 8. Juli mußten die Anhöhen
westlich der Bystrzyca zum Großteil aufgegeben werden, um so mehr als es dem Gegner fast
gleichzeitig auch am Ostufer des Baches gelang, im Angriff zu reüssieren und dadurch unsere
rechte Flanke zu entblößen. Die in das Regiment 21 eindoublierte 15. und 16. Kompagnie
machten das Zurückgehen des rechten Flügels nicht mit, sondern hielten befehlsgemäß auch
weiterhin wacker stand, gerieten natürlich infolge des feindlichen Eindringens, durch die rechts
entstandenen Frontlücken, in eine sehr schwierige Situation. Von vorn hart bedrängt, von
rechts umfaßt, mußten sie sich entschließen, um nicht ganz abgeschnitten zu werden, an das
etwas im Staffel links kämpfende 3. Baon anzuschließen. Die 14. Kompagnie, deren Kommando
nunmehr Fähnr. Kern innehatte, behauptete noch längere Zeit — vollständig sich selbst über¬
lassen — ihre Stellung, den Feind durch wirkungsvollstes Feuer in Schach haltend, doch blieb auch
ihr endlich nichts anderes übrig, als langsam auf die 13. Kompagnie (Brücke 210) zurückzugehen.
Das links anschließende 3. Baon hatte diese Rückwärtsbewegung rechtzeitig wahrgenommen
und noch in letzter Minute glücklicherweise seine 9. und 10. Kompagnie zum rechten Flanken¬
schutz nach Ost in eine Hackenstellung zurückgebogen. Es war die allerhöchste Zeit, denn der
Gegner wußte seinen Erfolg durch sogleich und sehr geschickt einsetzende Kavallerieattacken aus¬
zunützen, die unserer schon munitionsarmen Infanterie hart zusetzten.
Schon trieben starke Kosakenmassen ihre flinken Pferde durch die durchlöcherte Linie in
Flanke und Rücken todesmutiger Hessen, die ihre Stellungen nicht verlassen und nur mit Bajonett
und Kolben das schlitzäugige Pack abwehrten, schon war trotzalledem ein Teil der 12. und
1b. Kompagnie abgeschnitten und gefangen und die anfänglich nur schrittweise erfolgende Rück¬
zugsbewegung drohte panikartige Formen anzunehmen. Das durch die früheren Kampftage stark
erschöpfte und dezimierte Regiment 21 sowie die Reste der vor uns eingesetzten Truppenteile
waren faktisch abgekämpft und nicht mehr imstande, Widerstand zu leisten, so verblieb denn die
ganze Last, der Abwehr den Vierzehnern allein.
Obwohl durch die vorangegangenen Verfolgungsmärsche selbst ermüdet, war es eine
Pracht, wie diese Helden mit unglaublicher Kaltblütigkeit immer wieder zusammengeballt, jedem
Zuruf ihrer Führer folgend, immer von neuem gesammelt und — von den aus allen Richtungen
heranschwärmenden Kosaken umzingelt — nach allen Seiten schossen, hieben und stachen.
Mit verbissenster Wut wußten sie sich, instinktartig die uralte Landsknechtformation „den
Igel" annehmend, unermüdlich diese Teufel vom Leibe zu halten! Zfr. Kaliwoda der 10. Kom¬
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