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braven Männer fiel seinem Berufe, den er mit Todesverachtung ausübte, zum Opfer. Der in 
Mattsee (Salzburg) beheimatete Oberarzt Dr. Breitner, ein hervorragender Chirurg, hat die 
ganzen Jahre besonders segensreich in Nikolsk-Ussurisk gewirkt und sich mit Recht von der 
Mannschaft den Beinamen ,,der Engel von Nikolsk" erworben. 
Beschäftigung und Arbeit. 
Die verzweifelte Lage, in der sich die Kriegsgefangenen befanden, brachte es mit sich, 
daß jeder trachtete durch intensive Beschäftigung über diese schwere Leidenszeit hinüberzukommen, 
um seine Gedanken von der Heimat und an die Familie durch Arbeit abzulenken. Von den 
meisten Kameraden wurden, wegen des praktischen Nutzens im Leben, Sprachstudien betrieben. 
In jedem Lager gab es Kurse für Englisch, Französisch, Russisch, Italienisch, Türkisch usw.; so 
mancher Ungar erlernte vollkommen deutsch und viele Deutsche, auch Reichsdeutsche, lernten 
ungarisch. Auch in Lateinisch und Griechisch perfektionierten sich einige Herren, namentlich 
Reserveoffiziere, die es für ihren Beruf brauchten; von letzteren wurde auch das Studium der 
spanischen, schwedischen und arabischen Sprache häufig betrieben. Eine kleine Gruppe, zu welcher 
auch der Schreiber dieser Zeilen gehörte, hatte sich sogar an das Chinesische herangewagt. Ein 
einjähriges intensives Studium gab mir einen solchen Vorsprung, daß ich es wagte als „Lehrer der 
chinesischen Sprache" für einen kleinen Interessentenkreis zu fungieren und so geschah es, daß 
ein „14er" im fernen Osten die Sprache des Reiches der Mitte tradierte. Die Freude war 
nicht gering, als man nach einigen Monaten schon mit ein paar Worten die „Originalchinesen", 
welche im Lager zur Entleerung der Kanäle verwendet wurden, ansprechen konnte. Der Schleier 
des Mysteriösen, der über der chinesischen Sprache liegt, war für diese wissensdurstige Gruppe 
gelüftet. Es gab natürlich auch Sprachfanatiker, die fünf und sechs Sprachen zu gleicher Zeit 
lernten. Wie es in ihren Köpfen ausgesehen haben mochte, kann man sich denken; manche von 
ihnen sprachen schon das reinste Volapük oder Esperanto, ein Sprachengemisch. Als Lehrer in 
den verschiedenen Sprachen fungierten teils Berufssprachlehrer (Reserveoffiziere-Philologen), 
teils solche Herren, die durch langjährigen Aufenthal im fremden Lande oder durch Selbststudium 
die Sprache vollkommen beherrschten. Grammatiken (Berlitz-Behelfe, Toussaint-Langeuscheidt) 
konnte man sich auch beschaffen. Es war oft urdrollig, wenn man im Lager fast alle Sprachen 
der Welt von Vorübergehenden beim Spaziergange sprechen hörte. Als mir einmal ein Offiziers¬ 
diener sagte, die Herren warten auf mich im „Offiziers-Babylon" (er meinte Offiziers-Pavillon), 
hat er jedenfalls ganz unbewußt, aber sehr treffend einen ganz famosen Witz gemacht. Eine 
weitere geistige Anregung und Zerstreuung bildeten die von Fachleuten gehaltenen Vorträge. 
An erster Stelle müssen wohl die ganz hervorragend künstlerischen Darbietungen eines Kameraden, 
der Berufsschauspieler war, angeführt werden. Unermüdlich las derselbe die Klassiker, bereitete 
uns damit so manche genußreiche Stunde und verscheuchte auf einige Zeit trübe Gedanken. 
Aber auch auf wissenschaftlichem Gebiete konnte man aus Vortrügen von Universitätsprofessoren 
und anderen Kapazitäten seine Kenntnisse bereichern und modernisieren. Waren doch viele unter 
uns, die seit ihrer Studienzeit nur fachwissenschaftliche Werke, die sie für ihren Beruf notwendig 
hatten, studierten. Die Aufklärung über den modernen Stand der Wissenschaft, namentlich auf 
dem Gebiete der Elektrizität, Chemie, Medizin, Astronomie usw., war allen sehr willkommen. 
Auch Kurse über Buchhaltung, Bankwesen usw. wurden abgehalten. Überdies konnte man durch 
wissenschaftliche Werke aller Art, die in der Bibliothek vorhanden waren, seine Kenntnisse 
bereichern. Diese Bibliothek wurde teils durch Übersendung von Büchern aus Tientsin von Frau 
v. Hanneken, teils durch Spenden einzelner Herren gebildet und erhalten. Für die Fortbildung 
der Mannschaftspersontzn (Diener) in den Offizierslagern wurde auch in der Weise gesorgt, 
daß Offiziere als Lehrer für einzelne Unterrichtsfächer, wie zum Beispiel Sprachen, Stenographie, 
Maschinenbau, Mechanik usw., fungierten. Die außerhalb des Offizierslagers konzentrierte 
Mannschaft hatte durch Abkommandierung zur Feldarbeit, dann in industrielle Etablissements 
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