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meine strafweise Versetzung in ein anderes Lager durchführen wollte. Nur über eindringliches 
Bitten nahm er später davon Abstand. 
Die russischen Ärzte sind nur wenn sie im Auslande studiert haben, vollwertig zu 
nehmen. Es war eine allbekannte Tatsache, daß sie obwohl die Spitäler mit modernen 
Instrumenten und Apparaten ausgestattet waren, zumeist mit denselben nicht umzugehen wußten. 
Den eigentlichen ärztlichen Dienst versahen die Feldschere, die oft nur durch Protektion diesen 
Dienstposten bekleideten, um dem Frontdienste zu entgehen. Die Aufnahme in ein Spital ging 
immer mit der den Russen eigentümlichen Schwerfälligkeit vor sich und dauerte gewöhnlich 
einige Tage. Der große Mangel an Medikamenten und Verbandstoff machte sich überall empsindlich 
bemerkbar und man kaun wohl sagen, daß aus dieser Ursache allein viele Todesfälle vorkamen. 
Tuberkulose, Lungenkrankheiten, Nierenleiden, Skorbut und Magenkrankheiten kamen 
am häufigsten vor; außerdem waren auch Bauch- und Flecktyphus ständig epidemisch und 
rafften Tausende und Abertausende von jungen Men¬ 
schenleben dahin. 
Eine besondere Krankheit war der Nachtnebel, 
an dem speziell viele Leute in der Priamurs-Kaja litten. 
Er äußerte sich darin, daß die davon Befallenen von der 
Zeit des Sonnenunterganges bis zum Sonnenaufgang 
vollständig blind waren. Die Krankheit ist auf den 
Mangel von Gemüsen und Fettstoffen zurückzuführen 
und ist ein Vorbote des Skorbuts. Ein gutes Mittel 
dagegen war Lebertran, doch war dieser nirgends aus¬ 
reichend vorhanden. Unter diesen desolaten hygienischen 
Verhältnissen war es wohl eine äußerst segensreiche und 
philanthropische Aktion, daß der Papst den Austausch der 
Invaliden ins Leben rief. Leider brauchte dieses Über¬ 
einkommen eine geraume Zeit, bis es auf die russischen 
Verhältnisse halbwegs Anwendung fand. Die ärztlichen 
Kommissionen arbeiteten in einem Schneckentempo; oft 
stockte monatelang ihre Tätigkeit ganz und überdies 
machten sie bei der Anerkennung der Invalidität die 
größten Schwierigkeiten. Bis die berühmten Bumagi 
(Schriftstücke) alle Instanzen passierten und endlich die 
Bewilligung zum Anstausch kam, waren die meisten 
Kranken mittlerweile gestorben. Später wurde der 
Jnvalidenaustausch auch auf Halbinvalide ausgedehnt 
und dadurch war es auch mir gelungen, zuerst das europäische Rußland und dann sogar 
die liebe Heimat zu erreichen. 
Die Beerdigung der Verstorbenen geschah gewöhnlich ohne Zeremonie und Pietät; 
auch wußten es die Russen so einzurichten, daß selbst die kleinen Deputationen, die den 
Kameraden das letzte Geleite geben wollten, zumeist zu spät kamen. Gewöhnlich wurde von 
den Kameraden ein Kreuz mit dem Namen des Verstorbenen auf das Grab gesetzt. In Chabarowsk 
aber wurde auf dem Kriegsgefangenenfriedhof, der eine eigene Abteilung bildete, von den Offizieren 
ein Obelisk errichtet, zu dem ein ungarischer Bildhauer den Entwurf lieferte. Wie das Leben 
eines Kriegsgefangenen eingeschätzt wurde, beweist am besten der Umstand, daß über die Ver¬ 
storbenen erst über Veranlassung der Roten-Kreuz-Delegation Totenscheine ausgefertigt wurden, 
die dann an die Zentralstelle nach Petrograd gelangten. Ich muß hier mit einigen Worten 
aber auch der österreichisch-ungarischen Ärzte gedenken, deren segensreichem Wirken und auf¬ 
opfernder Pflege Tausende von Kriegsgefangenen ihr Leben verdanken. Gar mancher dieser 
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