Volltext: I R 14

Auch den Offizieren wurden in den meisten Fällen zur Bequartierung nur leere, feuchte, 
dumpfe Zimmer zugewiesen. Äußerst selten bekamen sie außer einem einfachen, leeren Bettgestell 
auch noch ein Nachtkästchen. Die Mannschaft hatte als Liegestelle bestenfalls Holzpritschen, die 
so knapp übereinander angebracht waren, daß sie nicht einmal Raum zum Sitzen boteu. Für 
alle Unterkünfte kann gesagt werden, daß sie stets überfüllt waren und von Ungeziefer strotzten. 
Durch die häufigen Transporte, die in den meisten Fällen per Bahn in schmutzigen Mannschafts¬ 
oder Viehwagen durchgeführt wurden, ist immer wieder neues Ungeziefer eingeschleppt worden, 
so daß in allen Lagern ständig eine große Ansteckungsgefahr herrschte. Ein Bettzeug wurde 
weder den Offizieren noch der Mannschaft ausgefolgt, so daß die Kriegsgefangenen auch in 
der strengsten Kälte sich mit dem behelfen mußten, was aus eigenen Mitteln beschafft werden 
konnte oder was sie auf dem Leibe trugen. Das gute Herz und die noble Denkungsart 
meines lieben Freundes Tenner bezeugt folgendes Vorkommnis: Ein uns fremder Infanterist 
bettelte im Offizierslager um ein Hemd. Tenner hatte zwei vollkommen zerfetzte und ein 
fast neues. Nach kurzem Nachdenken schenkte er dem armen Kerl sein bestes Hemd. Uber diese 
geradezu biblische Mildtätigkeit bewegt, frug ich Tenner um seine Gründe — und er meinte 
ganz selbstverständlich: „Helfen muß man, ich kann ihm doch keinen Hader geben! — Was 
würde er denn von einem Offizier halten?" 
Die Ernährung. 
Die Offiziere mußten die ganze Verköstigung aus ihren Gagen bestreiten, die wohl 
anfangs dazu ausreichten, später aber durch die Ausbeutung der Lagerkantinen und durch die 
horrende Preissteigerung aller Lebensmittel viel zu gering wurden. Die Mannschaft erhielt von 
Seite des russischen Staates anfänglich in natura täglich zwei Pfund gebackenes Brot sowie 
24 Solotnik Buchweizen oder Hirse für die Bereitung der Kascha und zirka 6 Kopeken Menage¬ 
geld für die übrigen Lebensmittel. Die Verschlechterung der Menage, die Herabsetzung der Brot¬ 
gebühr und des Menagegeldes nahm derart rapid zu, daß die Leute schon im Jahre 1917 nahe 
dem Verhungern waren. 
Die Bekleidung. 
Die Kriegsgefangenen waren derart mangelhaft und dürftig mit Kleidern und Schuhen 
versehen, daß sie wie Bettler herumgingen; selbst in den kältesten Wintermonaten hatten 
sie keine Unterkleidung ausgefaßt und mußten mit zerfetzten Stiefeln und Schuhen schwere 
Arbeiten im Freien verrichten. Die russischen Magazine waren voll mit Monturen, doch gab 
man absichtlich den Kriegsgefangenen nichts heraus. Nur wenn eine Delegation oder Inspizierung 
durch einen höheren russischen General angesagt war, da wurden oft bis in die tiefe Nacht 
Monturen und Schuhe ausgeteilt, um nach Beendigung der Besichtigung gleich wieder ab¬ 
genommen zu werden. Die in dieser Hinsicht vom Noten Kreuz und von heimatlichen Fürsorge¬ 
ämtern unternommene Hilfsaktion hatte zwar diesem Übelstande etwas abgeholfen, die große 
Masse litt aber ständig unter der unzureichenden Bekleidung. 
Die sanitären Verhältnisse. 
Eines der traurigsten Kapitel ist wohl die sanitäre Fürsorge während der ganzen Zeit der 
Kriegsgefangenschaft. Obwohl in den meisten Fällen die Spitäler gut eingerichtet waren, reichten sie 
bei höheren Krankenständen räumlich nicht aus. Überdies begegnete man auf Schritt und Tritt 
einer unfaßbaren Indolenz in der Krankenfürsorge. So war zum Beispiel im Jahre 1915 in 
Krasnaja-Rjetschka für kranke Offiziere nur ein Zimmer mit fünf Betten reserviert. Wenn dieser 
Belag komplett war, mußte der am längsten in Spitalsbehandlung gestandene dem neugekommenen 
Kranken Platz machen und wurde ohne Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand entlassen. 
Als ich diese haarsträubenden Verhältnisse dem amerikanischen Konsul, der uns besuchte erzählte, 
geriet der russijche Kapitän, der bei uns die Aufsicht führte in eine derartige Wut, daß er 
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