Volltext: I R 14

Gestern nachts war noch Gewehrschießerei und Geschützfeuer. Auch Maschinengewehre 
haben gerattert. Ziemlich lebhaft. Unser 1. Baon soll zehn Tote haben. Ich hoffe jedoch, das 
ist nur eines der vielen Gerüchte, die ja bei den Truppen wie Fliegen umhersumsen. 
Das Feuer hat sich nach einer Viertelstunde gelegt und ich muß dann rasch eingeschlafen 
sein. Die Reisigpritsche, das Rucksackkissen, der flackernde Schwarmofen neben mir, mit der stets 
fürsorglichen Feuerordonnanz, der vielstimmige Chorus der Schnarcher durch die ganze Baracke, 
ab und zu ein Zanken der Tür oder ein kleiner Schneerutsch vom Dache — es war auch zu 
einladend. So lag ich denn wie ein Sack bis spät in den Morgen. 
In der Kanzlei, klagt mir mein Freund, der Adjutant, herrscht fieberhafte Tätigkeit. 
Befehl folge auf Befehl, eine Ordonnanz steigt der anderen auf die Fersen, Skizzen kämen und 
Karten, Pläne und Verhaltungsmaßregeln, und außerdem seien noch Munition, Leuchtraketen 
und Handgranaten zu fassen. Schön, mich bekümmert das nichts! Schadet dir nicht, lieber Pro¬ 
fessor, wenn du auch mal schwitzest und ,,schwimmst"! 
Morgen, sagt er, soll von fünf bis elf Trommelfeuer dröhnen, wir indes schon auf 
Sturmdistanz sein, so daß wir, wenn's gelingt, die Nacht schon auf dem Costou oder doch in 
dessen Gipfelnähe verbrächten. 
Ich bin guten Mutes, wenngleich ich mich einiger Spannung und Unruhe nicht er¬ 
wehren kann: Das Neue, das Nieerlebte, das Gewaltige, das Ungeheure! Wird es denn wirklich 
so ungeheuer sein? Können denn all diese kleinen Leutchen, die immer nur gewohnt waren, in 
Kargheit zu leben, in Schwere zu fronen, in Demut zu atmen, können denn all diese plötzlich 
Ungeheures vollbringen? Können denn all die verkrümelten Seelen, all die verschatteten Augen 
plötzlich ins Weite hinzielen, klaren Blicks und festen Willens einen Weg beschreiten, den sie 
vielleicht nimmer heimwärts pilgern? Können sie es? O, sie haben es gekonnt, schon oftmals, 
und sie werden es wieder können; und daß sie es konnten und können — das eben ist das 
Wunder des Krieges! „Tenn die Völker und Menschen leben in Wahrheit davon, wofür der 
einzelne zu sterben bereit ist!" 
Und dieser einzelnen einer, ich?! 
Meine ganze, ganze Seele wallt in die Ferne und segnet, die mir das Teuerste sind. 
Sie werden morgen an die Arbeit gehen wie täglich, wie immer, mit Sonnenaugen und betenden 
Herzen und werden nicht ahnen, die Guten, daß meines Lebens brausendste Stunde gekommen. 
Und das Kleine wird spielen und lachen und wird juchzen und länglang die Wiege abgucken 
und „plauschen" und wird ihn nicht missen, den niegesehenen Fernen, der mithilft, das winzige 
Herzlein, das lenzjung pochende, zu beschirmen. 
Werd' ich wiederkehren? 
Wer Brennen säet, der kann auch verbrennen! Allein — man verliert nur das, was 
inan nie gewagt hat hinzugeben. Ich aber wag' es! — 
Man hat nachmittags Handgranaten verteilt, auch deutsche Systeme, im ganzen fünf 
verschiedene. Die Kisten standen draußen im Schnee, die Kompagnie wurde vergattert und jeder 
Mann erhielt drei Stück. Natürlich hat man den Gebrauch rasch erklärt und allen die größte 
Vorsicht eingeschärft. Dann kam die Fassung: Sardinen, Käse, Salami. Ist aber aufzuheben — 
man weiß nicht, ob man s nicht morgen . . . 
Die Leute wärmen sich wieder in der Baracke, stehen und liegen in Gruppen um die paar 
Ofchen; und längs der Rauchröhren fällt von der Decke ab und zu ein Tropfen Teer wie eine 
schwarze Perle. Der Assistenzarztstellvertreter visitiert nochmal die Verbandpäckchen; zwei muß jeder 
haben. Dann geht's wieder hinaus. Der Feldvikar! Er hält der Reihe nach an die Koinpagnien 
seine Ansprache, ermahnt zum Ausharren und erteilt die Generalabsolution. Er hat's ehrlich 
gemeint, das merkt man, und so sind's die Leute zufrieden und fühlen sich erleichtert, getröstet. — 
Den 2. Zug hat man auf die übrigen aufgeteilt, so daß die Kompagnie nur drei Züge 
hat. Dafür sind sie stärker, kampfkräftiger. Meinen Putzer hab' ich glücklich auch zum 3. Zug 
341
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.