Sopramonte, Ende Juli 1916.
Sschtmsrsch.
Donnerstag, den 27. Juli um sechs Uhr abends, standen das 21. und 22. Marschbaon
des Infanterieregiments Nr. 14 zum Abmarsch bereit. Eine lange Menschenkette kroch langsam
auf der staubigen Trentostraße. Schon nach Verlauf einer Stunde blieben marschunfähige Sol¬
daten zurück, um sich dem nachfolgenden Train anzuschließen. Endlich nach dreistündigem Marsch
wurde die erste lange Rast eingeschaltet. Auf einem längs der Straße verlaufenden Wiesen¬
plan lagerte das Soldatenheer in geordneten Haufen. Nur mehr verschwommen waren die ein¬
zelnen Gestalten, in der Dunkelheit der bereits eingebrochenen Dämmerung, zu erkennen. Der
von Süden kommende warme Wind trieb den Schweißgeruch der Menschen in die glühheißen
Gesichter. Ununterbrochen blitzten in der bewegten Masse Lichter beim Anzünden von Zigaretten
und Pfeifen auf, die Gestalten der Feuerzeugenden auf Augenblicke in rotgeränderten, scharfen
Umrissen zeigend. Sehnsüchtige, todesahnende Soldatenlieder hob der Abendwind leise in die
einsamen Höhen. Mehrere Einjährige sangen, mit tiefen wohlklingenden Stimmen, Goethes
Heidenröslein .
Ein ergreifendes, seltsames Bild bot die lagernde Menschenmasse beim Abmarsche, als
sie sich wieder in eine endlos scheinende schwarze, schleichende Marschschlange auflöste. Der nächt¬
liche Leichenzug eines Trappisten könnte nicht lautloser marschieren. Die Lastpferde wieherten
hell in diese Ruhe. Selbst die Lustigsten und Fröhlichsten der Soldaten wurden — unter dem
Drucke der auf allen lastenden Müdigkeit und Zukunft — schweigsam.
Der schon geraume Zeit über der Stadt Trient sichtbare Lichtnebel kam immer näher
und näher. Gegen Mitternacht passierten wir die Straßen Trients. Die Stadtbeleuchtung war
infolge ständiger Fliegergefahr auf das notwendigste eingeschränkt, nur die wenigen Bogenlampen
am Bahnhof verbreiteten über der Stadt den fahlen Schein, den wir schon lange vor unserer
Ankunft gesehen. Die reichere Bewohnerschaft hatte den Ort bei Ausbruch des Krieges mit
Italien verlassen, daher standen die schönsten und prächtigsten Palazzi leer. In den beiden Cafss
im Zentrum herrschte, trotz der späten Nachtstunde, noch lautes, lustiges Leben. Das halbe Mo¬
biliar der Kaffeehäuser stand auf der Straße vor den Eingängen. Eine große Anzahl von Sol¬
daten und Ofsizieren hatten den kühleren Aufenthalt auf der Straße, dem in den heißen Lokalen
vorgezogen. Überall Pfropfenknallen, Gläserklingen, lautes Schwatzen und Singen!
„Hurra! Heil ins Feld! . . . Wir kommen nach! . . . Donnerwetter! Das sind ja die
schwarzen Hessen! . . . Ihr kommt's gerade zur rechten Zeit."
Die Stimmen wurden lauter: „Elvira! — Prost du schwarze Teufelin! — Prost auf
unsere Sünden!" — „Evviva! Evviva! Austriaco!"
Das Rumpeln unserer Bagagewagen auf dem holprigen Pflaster mischte sich mit dem
Lärm des Kaffeehauslebens. Das rasselnde, scharfe Geräusch tat den Ohren weh.
Aus einem der Trainwagen lag ich fußmarod und philosophierte über das Leben.
Aus den Armen einer Soldatendirne entwand sich ein Zugsführer und eilte auf den
Feldwebel zu, der von dem Bocke meines Wagens auf die Pferde einhieb.
„Mäxl, bist du's? Servus, grüß dich! Kummst ä wieda außä? Wie geht's da?"
Der Zugsführer schrie aus Leibeskräften, um den Lärm zu übertönen, hielt sich an der
Wagenkante fest und rannte eine Zeitlang neben uns. Aus seinen Augen lachte der Wein und
seine Stimme klang rauh und heiser.
„Wir lieg'n auf da Malga Civaron, . . . tadellose Stellung .. . hnk . . . Servus . ..
Wiedersehen ... hnk ... . Glück auf!"
Bald war die Stätte dieses fröhlichen Nachtlebens unseren Augen entschwunden. Da
es nach dem Verlassen Trients auf einer beträchtlichen Steigung weiterging, versuchte ich meine
wundgegangenen Füße wieder. Stundenlang führte uns die in den Felsen gehauene Straße durch
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