Volltext: Unsere Volkssagen und ihre Bedeutung für die Heimatkunde

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ung der Germanen hat in diesem machtvollen Sturmgott 
Wodan, den obersten ihrer Götter, gesehen und läßt ihn 
zur Zeit der heftigsten Stürme in den winterlichen Rauch 
nächten (von Weihnacht bis Hl. Dreikönig) als gewaltigen 
Jäger über die Wälder dahinziehen, begleitet von seinem 
Zahlreichen Gefolge. 
Dieser alte Germanenglaube lebt wie allenthalben auch 
bei uns heute noch in der Volkssage, ja selbst im Volks 
glauben weiter. Wenn z. B. in einer dieser Sagen als 
Abwehrmittel gegen die „wilde Jagd" der Vorschlag ge 
bracht wird, aus einem Holzschopf Pferdeköpfe zu 
schnitzen und diese auf dem Hausgiebel zu befestigen, so ist 
damit ein Zusammenhang mit dem alten Wodankult schon 
erwiesen. Den „Alten vom Grunde" nennen ihn einige 
Sagen, als „wildn Jaga" bezeichnen ihn andere. Es ist 
derselbe Sturmdämon, den die nordische Sage der Meer 
anwohner Schleswig-Holsteins als den „Schrmmelrei - 
L e r" kennt, der über die Dämme der Halliginseln dahin 
jagt, ein unheimlich gespenstiger Reiter, dessen Erscheinen 
allemal bei jedem Begegnenden Entsetzen hervorruft, weil 
sein Auftauchen in stürmischer Nacht fast immer einer ver 
derblichen Springflut vorangeht, somit den hinter den Dei 
chen aufgebauten Behausungen der Halligbewohner Todes 
gefahr angekündigt. Theodor Storm hat mit seiner packenden 
Erzählung „Der Schimmelreiter" diesem gespenstigen We 
sen der Volkssage ein prächtiges Denkmal in der deutschen 
Kunstdichtung geschaffen. Auch unter den Sagen unserer 
Gegend erzählen einige, daß der wilde Jäger auf einem 
Schimmel daherreite. In anderen Fassungen dieser 
Sage vom wilden Jäger tritt an Stelle des Schimmels 
ein Rappe. Maßgebend dafür mag ursprünglich wohl 
der Umstand gewesen sein, daß Wodan nicht nur der Gott 
des Windes war, sondern auch T o t e n g o t t. Als solcher 
war er auch Seelenführer, ähnlich dem Charon der Grie 
chenreligion, der die Seelen der Abgeschiedenen in die Un 
terwelt, den Hades, geleitete, entsprechend dem meerum 
schlossenen Halbinselvolke der Griechen auf einem Kahn, 
während der Gott der kampfliebenden Germanen die See 
len der verstorbenen Krieger als Reiter auf feurigem Pferde 
in den Himmel trug. Damit im engsten Zusammenhang 
steht wohl auch Wodans Bezeichnung als „I ä g e r". Sollte 
ihm dieser Beiname nur deshalb gegeben worden sein, weil 
er mit seinem Gefolge in sausendem Zuge durch die Lüfte 
jagt? Ein Einblick in den Seelenglauben unserer Vorfah 
ren, davon vieles heute noch lebendig ist, bringt in manche 
sonst schwer verständliche Sagenerscheinung Klarheit. Wie
	        
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