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die Trümmer der väterlichen Burg gebannt, bis ein rittet'»
licher Erlöser sich ihrer erbarme.
Viele, viele ^)ahre nun harrte die Tochter des Ranb-
ritters bereits ihres Befreiers. Da traf es sich endlich,
daß der 5ohn eines in dieser Gegend wohnenden Bauers
in den nahen Wald ging, um nächst der Ruine wilden
stein Brennholz zu fällen, während der mit Fleiß ver¬
richteten Arbeit blickte er zufällig auf und sah plötzlich eine
ungewöhnlich große, schlanke, gespenstisch schöne Frauen¬
gestalt vom Walde ans auf sich zuschreiten. Ihr weißes,
mit Silberblumen gesticktes Kleid glich einem aus längst
vergangenen Ritterzeiten, ihr Antlitz war düster, das Haar
wild flatternd, ihr Gang schwebend.
Erschreckt starrte der Holzfäller die Gestalt an und
trotz der Mittagshitze rieselte es ihm eiskalt über den Rücken.
Erst als die Erscheinung mit silbertönenden, liebevollen
Worten sanft und flehend zu sprechen anhnb, erwachte
Mertl (so hieß der Bursche) aus seiner Erstarrung, besonders
als sie sagte, daß sie alle Hoffnung auf ihn, allen Trost
in ihn setze, daß er ihr den größten Dienst erweisen könne,
den je ein Sterblicher geleistet und daß er dadurch zu großen,
! zeitlichen Gütern gelangen werde.
Erstaunt antwortete der schlichte Mertl: „wenn ihr,
liebe Frau, etwas, das in meiner Kraft steht und nicht
sündhaft ist, benöthiget, bin ich stets bereit, euch einen
Liebesdienst zu erweisen. Braucht ihr Obdach oder einen
schützenden Begleiter, so sagt es, mein Vater, meine Mutter
werden euch als Hilfsbedürftige gerne willkommen heißen."
Flehend bat nun die Frauengestalt: „Höre und er¬
barme dich meiner, die schon Jahrhunderte lang hier wartet.
Sieh, ich bin das Burgfräulein von Wildenstein."
Furchtsam bekreuzte sich Mertl.
„Erschrecke nicht" — fuhr die Erscheinung fort
„denn weder ich, noch ein anderes gespenstisches Wesen