Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

504 
Dr. Alexander Graf Brockdorff 
vinismus, Nationalismus, Annexionismus, alles deutschen Willens zur Wacht und 
zum Sieg gegeben als die deutschen Reichskanzler von Bethmann Hollweg bis Max 
von Baden. — 
war das Volk chauvinistisch? Die §rage ist mit den obigen Ausführungen bereits 
im wesentlichen beantwortet,' denn der Rampf der deutschen Regierungen gegen 
Chauvinismus, Annexionismus usw. hat während des ganzen Krieges die Zustimmung 
der erdrückenden Wehrheit des Volkes gehabt, vie Illusionen der Regierung waren 
durchweg auch die Illusionen des Volkes. Das Volk hat im letzten Kriegsdrittel an 
Wilson nicht nur geglaubt, es hat ihn nahezu vergöttert. 
Gewiß fehlte es auch in Deutschland nicht an vereinzelten Zeugnissen sinnloser 
Hatzpredigerei, unnötigen Tobens und ungerechtfertigter Verdächtigungen gegen den 
Zeind. Lissauers berüchtigter hatzgesang z. B. gehört hierher, in dessen letzter 
Strophe es heißt: 
„Dich werden wir Haffen mit langem Hatz, 
Und werden nicht lassen von unserem Hatz: 
Hatz der Hämmer und Hatz der Kronen, 
Drosselnder Hatz von 70 Millionen, 
wir lieben vereint, wir hassen vereint, 
Wir haben alle nur einen Feind: England!" 
Ein flaches, lärmendes und verständnisloses Wachwerk,' denn der Deutsche kann 
zornig sein, aber ein ewiger haß gegen ein ganzes Volk ist ihm fremd und unver¬ 
ständlich. In dieselbe Kategorie gehört der englandfeindliche Kriegsroman „haß" 
von Artur Landsberger. 
Ebensowenig kann man es billigen, wenn etwa Watthias Erzberger am 12. Sep¬ 
tember 1914 im „Roten Tag" schrieb: 
„Deutschland wird den Krieg zu Ende führen, bis zum vollen Erfolg, und die kriegerische 
Auseinandersetzung mit England wird sich gründlich und rücksichtslos vollziehen müssen. 
Auch frei von allen Vorschriften des sogenannten Völkerrechts, das England 
bisher nur benutzt hat, um seine brutale Alleinherrschaft vollkommen zu festigen." 
Gewiß kann der verzweifelte Notstand eines Volkes eine Völkerrechtsverletzung 
rechtfertigen oder doch entschuldigen. Aber zu fordern, ein Krieg solle geführt werden 
„frei von allen Vorschriften des sogenannten Völkerrechts" — das heißt die Roheit 
und Grausamkeit fordern und den Verleumdungen des §eindbundes gegen die 
deutsche Heeresleitung zu Hilfe kommen. 
„Aber eins", so rief Dr. Gustav Stresemann in seinem Buche „Michel, horch, der See¬ 
wind pfeift", „soll und darf man dem deutschen Volke nicht zumuten: eine Versöhnung mit 
England, hier sitzt der Hatz zu tief. Es ist ein Hatz, der sittlich berechtigt ist. Weil er entstanden 
ist, nicht aus Lust am hassen, sondern aus Widerwillen gegen eine unedle Handlungsweise. 
Aus Widerwillen gegen ein Volk, das nicht kämpft mit Aufbietung der eigenen Volksmacht, 
sondern mit frechem Zynismus auf den Tag hofft, an dem bengalische Lanzenreiter mit 
ihren Pferden in den Parks von Potsdam sich tummeln werden. Vas Volk, das da droht, es 
werde kämpfen bis zur letzten silbernen Kugel, dos kann nicht verlangen, geachtet zu werden 
von einem Volke, das mit Strömen edelsten Blutes für seine Freiheit kämpft." 
Ekelhaft und verächtlich waren auch eine Anzahl Kriegskarikaturen des „Simpli- 
zissimus", in denen die angebliche Keigheit der englischen Truppen verspottet wurde,' 
dabei hätte sich die Redaktion bei jedem deutschen Soldaten, der gegen Engländer 
gekämpft hat, eindeutige Auskunft holen können, ob der Tommg zu kämpfen versteht.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.