Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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Ernst Kabisch 
England selbst hat an Brotgetreide noch nicht drei viertel des Vorjahres, Kanada und 
die vereinigten Staaten haben an Weizen noch nicht drei Fünftel des Vorjahres ge¬ 
erntet. Und England hatte im letzten Erntejahr 88 % seines Getreideeinfuhrbedarfs 
aus diesen beiden Ländern gedeckt! Argentinien, Indien, Australien sind kein Ersatz, 
weil die Transportwege zu lang sind und daher viel mehr Schiffe gebraucht werden. 
Nach holländischer Schätzung hat England höchstens für 3 Monate Brotkorn im Lande. 
Oie Zahl der deutschen U-Boote ist im letzten Zähre stark gewachsen; über den Kanal 
kann der Transportverhältnisse in Frankreich halber nichts Wesentliches kommen, 
sonst aber werden die U-Boote kein größeres Schiff nach England hineinlassen. Aber 
nicht nur die Lebensmittelzufuhr unterbindet der U-Boot-Krieg, er lähmt auch den 
Urieg durch Verminderung der Verkehrsmittel: weniger Schiffsraum — weniger 
Grubenholz, weniger Grubenholz — weniger Kohle, weniger Kohle — weniger 
Munition. — Amerika ist augenblicklich durch das Verhalten der Staatsmänner der 
Entente so gekränkt, daß es gar nicht zum Uriege schreiten wird. Wollte es aber auch, 
so könnte es nicht viel mehr tun, als schon jetzt, nämlich mit Geld, Munition, Waffen, 
Gerät aushelfen, ver klägliche Mißerfolg des Versuches gegen Mexiko hat gezeigt, 
wie schlecht es mit seiner Heeresorganisation bestellt ist, und dazu sitzt ihm Japan 
im Nacken, das sicher diese Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen lassen würde. 
Schließlich würden unsere U-Boote Truppentransporte über den Gzean verhindern." 
„Ein merkwürdiger Gedanke", sagen die Gegner, „daß Japan jetzt als Verbün¬ 
deter Englands plötzlich die vereinigten Staaten angreifen würde, wenn diese auf 
die Seite der Alliierten treten! Oer Vorfall mit Mexiko beweist gar nichts. Bedenkt, 
was England fertiggebracht hat, unterschätzt nicht jenes angelsächsische Volk. In jeder 
Weise wird die bisherige Hilfe sich steigern, und mit stärkeren Hilfskorps ist unbedingt 
zu rechnen, habt ihr die Bildung und dauernde Versorgung einer Armee von mehreren 
hunderttausend Mann bei Saloniki mit euren U-Booten hindern können? Und ein¬ 
greifen werden die Amerikaner. .Eine Zurücknahme oder auch nur wesentliche Ein¬ 
schränkungen der sogenannten Nonzessionen, die wir dieses Frühjahr (4. Mai 1916) 
an Amerika machten, bedeutet Krieg mit Amerika. Vas ist die feste Überzeugung 
aller hier, die sich mit der Frage beschäftigt haben. Dhne politischen Selbstmord zu 
begehen, könnte keine Regierung und keine Partei es wagen, in dieser Frage Deutsch¬ 
land nachzugeben, in der es sich um das Leben von Amerikanern handelt' (Botschafts¬ 
rat v. haniel, Washington). Man muß rechnen mit fast hysterischem Nationalstolz, 
fast hysterischer Sentimentalität. Noch wollen die Massen lieber aus dem Kriege 
herausbleiben; damit wird es beim Eintreten amerikanischer Menschenverluste sofort 
vorbei sein. Und wie würde der hinzutritt der vereinigten Staaten die Kriegsmoral 
unserer bisherigen Feinde stärken! Glaubt man, unsere Position zu verbessern, indem 
man ein kultiviertes Land mit einer starken, kräftigen Rasse, mit mehr als 100 Mil¬ 
lionen Einwohnern, mit fast unbegrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten, mit einer 
gewaltigen Industrie auf die Gegenseite wirft? Ihr sagt, ihr würdet England in 
einem halben Jahr auf die Knie zwingen, indem ihr monatlich 500000 Bruttotonnen 
versenkt. Ist der Erfolg so sicher? In England liegt mindestens für 4 % Monate Brot¬ 
getreide. Amerika hat von der vorjährigen Ernte noch bedeutende Überschüsse. Mag 
es gelingen, die vor dem Kriege rund 19 Millionen Bruttotonnen starke englische 
Handelsflotte bis zum herbst auf rund 15 Millionen herabzudrücken: Dann bleiben 
noch 7 Millionen für militärische Zwecke und 8 Millionen für den privaten Handels¬
	        
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