Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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August Gallinger 
Ich las während meiner französischen Gefangenschaft den von edelster Gesinnung 
erfüllten Brief eines verwundet in deutsche Hände gefallenen französischen Offiziers 
an seine Mutter, die als Kriegspflegerin tätig war, und worin er sie bittet, die deutschen 
verwundeten ebenso zu behandeln, wie sie wünschte, daß ihr Sohn in Deutschland 
behandelt würde. Erfülle sie seine Bitte, so hätten deutsche Mütter ebensoviel Ursache, 
ihr dankbar zu sein, wie sie seinen deutschen Pflegern dankbar sein müsse. 
Die beweiskräftigsten Zeugen aber sind die Gefangenen selbst, die bei ihrer Rück¬ 
kehr in die Heimat selbst die Schauermärchen von deutscher Härte und Grausamkeit 
zerstörten und offen ihrem Erstaunen über die skandalöse Unterbringung der deutschen 
Gefangenen Ausdruck gaben. Sie wurden uns als Lagerwachen zugeteilt und unter¬ 
schieden sich sehr vorteilhaft von ihren Vorgängern. Als wir im Mai 1919 unseren 
Aufenthalt wechseln mutzten und quer durch Frankreich transportiert wurden, gab 
der Führer unserer Begleitmannschaft uns die beruhigende Versicherung, er und alle 
anderen seien ehemalige Kriegsgefangene, die in Deutschland anständig behandelt 
worden seien und sich ebenso verhalten würden. Sie hielten Wort und schützten uns 
vor Beschimpfungen und Schlimmerem. Und auf allen Stationen traten Soldaten 
zu uns heran, die uns von ihrem Aufenthalt in Deutschland erzählten und durch ihre 
Freundlichkeit bewiesen, wie wenig jene Zeit sie verbittert hatte. Auch das Verhalten 
der Zivilbevölkerung änderte sich schlagartig mit der Rückkehr der französischen Ge¬ 
fangenen. während bis dahin unsere Kameraden, wenn sie auf Lastautos zur Ar¬ 
beitsstätte fuhren, mit Steinen beworfen wurden und den unflätigsten Beschimp¬ 
fungen ausgesetzt waren, blieben sie plötzlich nicht nur unbehelligt, sondern erfuhren 
mancherlei Erfreuliches, wie Geschenke von Zigaretten usw. Man schämte sich, die 
Verleumdungen über die Deutschen geglaubt zu haben und gestand, durch die heim¬ 
gekehrten Freunde und verwandten eines Besseren belehrt worden zu sein. 
Gewitz sind die Anweisungen der Behörden und die Mahnungen zur gerechten 
Behandlung des gefangenen Feindes nicht überall befolgt worden. Ausschreitungen 
sind vereinzelt auch bei uns vorgekommen, während sie aber dort die Regel waren 
und von Behörden nicht nur stillschweigend geduldet, sondern durch ihre Verfügungen 
sogar begünstigt wurden, bildeten sie bei uns die Ausnahme. 
Gefangenenbehanülung bei den Italienern und Amerikanern 
von den Ländern, die später in den Krieg eintraten, hat sich Italien und sein 
Volk im grotzen und ganzen von ernsthaften Übertretungen der Gesetze der Mensch¬ 
lichkeit ferngehalten. 
Sehr viel trüber stellt sich der Anblick Amerikas dar. von allen Kanzeln, von den 
Lehrstühlen der Universitäten, in den Schulen wurde Feindseligkeit gegen alles 
Deutsche gepredigt, die Presse übersteigerte sich in abstotzenden Gemeinheiten, der 
Film stachelte durch Greuelgeschichten von empörender Widerlichkeit, die dem leicht¬ 
gläubigen Mann aus dem Volke als an Grt und Stelle ausgenommen vorgelogen 
wurden, die finstersten Leidenschaften auf. Der Präsident Wilson beleidigte die 
Deutschamerikaner, die stets treue Bürger der vereinigten Staaten waren, indem er 
für sie den Spitznamen „Bindestrich-Amerikaner" einführte. Man beargwöhnte jeden 
deutschen Abkömmling; deutschamerikanische Professoren wurden bespitzelt; sie 
riskierten das Gefängnis, wenn sie sich einfallen Netzen, anerkennende Worte über die 
Deutschen zu sagen, wer gar öffentlich, etwa in der Trambahn, deutsch sprach, hatte
	        
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