Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

Frühjahr 1918 in einem Feldlazarett 
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sich, wenn ihn „der elendige Spektakel draußen" dabei stören wollte, überall im 
Lazarett kannte und liebte man ihn und sein kleines Mädel daheim durfte nicht 
böse sein, daß wir ihn so lange festhielten. 
Freilich war er nicht der einzige unter unsern Soldaten, dessen wundersames 
Heldentum erst nach dem „Vienstunfähigwerden" zur vollsten Entfaltung kam,- still 
und unbemerkt wurde da mancher heiße Kampf gekämpft, mancher Sieg schmerzvoll 
errungen, von dem kein Kriegsbericht Meldung gab. 
-Durch die weiten Säle voll müder, wunder Menschen ging ich- 
ein Aufatmen im Garten, ein zitterndes Lauschen — ein Blick gegen Südwesten — 
noch nichts! Wie lange würde es noch währen? Eine Nacht? Zwei? 
Meine Mache ging dem Ende entgegen — nicht zu früh für Geist und Körper. 
Einsamkeit und Dunkelheit, wochenlang, machten die Spannung beinahe unerträglich. 
Und kein Mort aus der Heimat, keines von den kämpfenden Brüdern an der Front 
und keines, durch das sich das eigene schwere her; entlasten durfte: Postsperre! 
Schweigen überall! Mie gern wollte man es tragen, wenn man dadurch mit¬ 
helfen durste zum Letzten! Zum Sieg! Uber lange konnte, durfte es nicht mehr 
währen dieses Warten! Warten! 
Wenn der erste fahle Streifen im Osten aufglomm, war das Schlimmste über¬ 
wunden, denn schon um 5 Uhr begann das Tagewerk auf den Stationen. Schlaf¬ 
trunken reckten sich die verwundeten, wenn man mit der Waschschüssel an ihr Bett 
trat, aber bald waren sie vollends munter und trieben, falls nicht ein besonders 
Schwerkranker im Saal war, allerlei ergötzlichen Unsinn. Meine Blinden (mancher 
war es gottlob nur vorübergehend, bis der verband über den Augen entfernt werden 
konnte) waren da nicht eben die ruhigsten, aber ihre Neckereien waren oft schmerzlich 
anzuhören: „Geh', Frost, wie schief heut' wieder einmal dein Scheitel ist, schau doch 
in den Spiegel" (und dabei konnten die beiden einander nicht sehen!) oder: „Seht 
doch, wie fein ich mich heute gemacht habe" und ähnliches. — 
— wenn die Ablösung für uns kam, hätten wir uns am liebsten gleich nieder¬ 
gelegt, doch hatten wir um 10 Uhr noch zum „Mittagessen" zu erscheinen. So blieben 
uns zwei Stunden Freizeit, und es war nun auch köstlich, während sonst alles zur 
Arbeit ging, in den frischen Frühlingsmorgen hinauszuwandern. 
Fast immer zog ich mit der fröhlichen, braunlockigen Zngeborg los und wir ent¬ 
deckten manch feinen Erdenfleck in der Umgebung des Lazaretts, den wir sonst im 
Getriebe des täglichen Dienstes nicht erreichen konnten. 
Einmal — es war schon Mitte März — gelangten wir an ein hohes» eisernes 
Tor und durch dieses in einen verwilderten, von uralten Bäumen bestandenen park. 
Über Wurzelwerk und Efeu drangen wir vor und standen dann plötzlich vor einer 
Wiese, die etwas unwirklich Märchenhaftes hatte, so dicht stand ein goldener Nar¬ 
zissenkelch neben dem andern. Brachte dies Land des Grauens und der Trauer 
solche Schönheit hervor? Mitten in der Wiese knieten wir nieder und sammelten 
von dem goldenen Überfluß in unsere Schürzen: Wir hörten nicht mehr das drohende 
Grollen der Artillerieschlacht,- der Uri eg und seine Not waren für eine selige Stunde 
vergessen,- es war Frühling und unsere ganze Seele dürstete nach Frieden und 
Schönheit. 
AIs wir dann freilich auf der staubigen Landstraße, die zum Lazarett zurückführte, 
einem langen Zug müder, schwerbepackter Soldaten begegneten, wurden wir wieder 
27 weltkriegsbuch
	        
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