Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

Frühjahr 1918 in einem Feldlazarett 
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sacken aufgeschichtet, die als Notlager dienen sollten, wenn die fast 2000 Betten nicht 
ausreichen würden. Für Wochen stärkster Inanspruchnahme war Verbandstoff und 
Wäsche bereitgelegt und unsere Verwundeten wurden, sobald sie irgend transport¬ 
fähig waren, nach rückwärts geschickt, um Platz zu schaffen für die anderen, wir 
wußten, daß uns eine Zeit heißester Arbeit bevorstand und waren ebenso bereit, 
alles zu leisten, was die Stunde von uns fordern würde wie „die vorn". 
Freilich, Nachtwache, eben jetzt! Man hatte schon einigen Grund, sie zu fürchten, 
wegen der Fliegergefahr trafen die meisten Verwundelentransporte nachts ein, und 
dann war man allein auf den ausgedehnten Stationen und konnte sehen, wie man 
in der Dunkelheit, die ja alles noch grausiger machte, zurecht kam. 
Aber es verging Nacht um Nacht und wir warteten noch immer. Oie beiden 
Stationen, welche meiner Aufsicht unterstanden, lagen durch ein Stück Garten von¬ 
einander getrennt und halbwegs erhob sich unser Napellchen. Oer warme rötliche 
Schimmer des ewigen Lichts zitterte über dem Dunkel, denn Luft und Boden bebte 
unter dem schüttelnden Stampfen im Süden und Westen, das alltäglich an Stärke 
gewann, hier blieb ich oftmals lauschend stehen und ftug, den Blick gegen den lichten 
Streifen im Süden gewendet, der die Feuerschlünde der Front andeutete: ist dies 
die Nacht? Dort, den silbrig glänzenden Schienenstrang entlang rollten die Züge, 
die Menschen, Nanonen, Munition nach vorn brachten — endlos, unaufhörlich — 
nun im vierten Jahr schon. — 
Oer Frühling wollte kommen,- ein starker, würziger Geruch wehte von den um¬ 
gepflügten Ackern her,- über der Erde lag die Verheißung nahender junger Schönheit, 
und die Menschen, die auch lenzftoh und lebensfteudig waren, mußten einander 
morden. 
Oa vorn, gar nicht weit, woher das Blitzen und Grollen kam, da geschah dies 
Furchtbare, bei Tag und bei Nacht! 
Und wir mußten warten, bis man sie uns dann brachte —, das, was von ihnen 
übriggeblieben war! va lagen sie dann mit zerschossener Brust, zerstückelten Glied¬ 
maßen und lichtlosen Augen. 
Ich mutzte an den armen Heinrich Meier denken, den man uns neulich herein¬ 
getragen hatte: Ein halbes Nind noch, 19 Jahre, und erst vier Tage im Graben, als 
ihn sein schreckliches Los ereilte. In einem Erdloch waren sie zu fünft an einem 
Maschinengewehr gesessen, als der Engländer vorstieß. Sie wehrten sich verzweifelt, 
nach kurzer Zeit nur noch zu zweit; die andern waren tot. Oa schlug eine Granate 
vor ihnen ein und als der junge Soldat wieder zur Besinnung kam, war vollständiges 
Dunkel um ihn her und sein Bein schmerzte wie in glühendem Feuer, herumtastend 
fand er seinen Nameraden, ein Sprengstück im Leib und nicht mehr weit vom Tod. 
Blind, todesmatt, vor Ourst fast verschmachtend lagen sie einsam inmitten des un¬ 
geheuren Trümmerfeldes — im Niemandsland zwischen zwei Fronten, wie dankbar 
waren sie für einen Schluck schalen Nühlungswassers vom Gewehr, mit dem sie sich 
wenigstens die Lippen netzen konnten. In der zweiten Nacht starb der Gefährte 
und ließ den andern allein in der grenzenlosesten Verlassenheit. So lag er fünf furcht¬ 
bare Tage und Nächte, blutend, fiebernd und lichtlos — und wartete auf den Tod. 
Neu vorstoßende deutsche Truppen fanden ihn am 6. Tag, bewußtlos, mit weiß 
gewordenem haar. Oer Stabsarzt schüttelte den Nopf: „Langsam, ganz vorsichtig 
ernähren, damit wir sehen, ob er überhaupt noch etwas aufzunehmen vermag.
	        
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