Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

Frühjahr 1918 in einem Feldlazarett 
Von Lazarettschwester Gertrand Graßmann 
-„Für die nächsten fünf Wochen, übernehmen die Nachtwachen auf 
Station A Schwester Zngeborg, auf 6 Schwester Gerlinde und auf C Schwester 
Gertraud." 
Die Ausgerufenen waren etwas bleich geworden unter den mitleidigen Blicken 
ihrer Mtschwestern. warum? wir hatten doch alle schon Nachtwachen gehalten und 
wußten, daß es einen eben von Zeitzu Zeit ttaf und eine selbstverständliche Pflicht 
war wie jede andere. 
warum hatten wir diesmal mit so ängstlicher Spannung auf den Namensaufruf 
gewartet? 
Die zweite Februarhälfte des Jahres 1918 war da und wir wußten, daß der 
kommende Frühling noch blutiger und grauenvoller werden würde als seine vor- 
gänger, und daß die letzte, schwerste Entscheidung um Bestand oder Untergang 
unseres Vaterlandes hier im Westen erkämpft würde, wir hatten die ungeheueren 
Vorbereitungen mehr geahnt als gesehen, aber die fieberhafte Spannung, die durch 
die eiserne Front vor uns zitterte, hatte auch uns erfaßt, und wir bangten und sehnten 
uns dem entgegen, was kommen würde, kommen mußte. Aber wann? Alle An¬ 
zeichen wiesen darauf hin, daß es nicht mehr lange dauern würde: der Druck, der 
auf all den wissenden, all den Ahnenden lag, war schon jetzt kaum mehr erträglich,' 
man sehnte sich, wie in der peinigenden Schwüle vor einem Gewitter, daß der Sturm 
endlich losbrechen möchte. Nur nicht länger noch dieses herz und Sinne zermürbende 
Warten, Warten! 
Zn einer der letzten Nächte war es gewesen: wir waren eingeschlafen, trotz des 
rollenden Trommelfeuers, das die Fenster im Hause erzittern ließ,' daran war man 
gewöhnt — so sehr gewöhnt, daß wir erschreckt auffuhren, als es mit einen: Schlag 
verstummte. Mit weit aufgerissenen Augen starrten wir in das Dunkel hinaus, das 
plötzlich seine Sttmme verloren hatte und flüsterten: „Jetzt beginnt es!" Unser zittern¬ 
des herz sah sie aus den Gräben steigen, — unsere Brüder, unsere Soldaten — in 
langen, langen Reihen, zum Sturmangriff — und wir schlossen unsere Hände in¬ 
einander in Grauen und Hoffnung. — Dann hatten wir uns wieder niedergelegt, 
da es uns Pflicht war, Kraft zu sammeln für die kommenden Tage, Wochen, 
Monate. 
Damals hatten wir uns geirrt: es war ein örtlich beschränkter Feuerüberfall 
gewesen, — noch war die Stunde nicht da. Sie würde kommen, bald kommen! 
Schon waren auf den Gängen und Speichern des Lazaretts Hunderte von Stroh-
	        
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