Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

390 
8- Lorz 
daß keinerlei wirtschaftliche Vorbereitungen für einen kommenden Krieg getroffen 
wurden. Bei Eintritt des Krieges nützte uns diese bewiesene Friedensliebe leider 
nichts, sie trug vielmehr zum Verlust des Krieges bei. 
Wie war die Situation in den anderen Ländern, die gegen uns in den Krieg 
zogen? England, das bekanntlich, wie die schon genannten Zahlen beweisen, von 
seiner eigenen Erzeugung nicht leben konnte, erfaßte schlagartig die kommende 
Situation. Im englischen Unterhaus erklärte der damalige Landwirtschaftsminister 
Brothers anfangs des Krieges: 
„6uf den Korn- und Rartoffelfeldern Grotz-Britanniens wird der Sieg über Deutschland 
in diesem großen Kriege gewonnen oder verloren." 
AIs dann in England die Möglichkeit einer Nahrungsmittelverknappung auf¬ 
tauchte, wurde vom Ministerpräsidenten Llogd George sofort die Steigerung der 
heimischen landwirtschaftlichen Erzeugung angekündigt. Der englische Landwirt¬ 
schaftsminister wurde umgehend mit Machtmitteln ausgerüstet, wie sie nie zuvor 
ein englischer Ackerbauminister besaß. Unbekümmert um irgendwelche Regierungs¬ 
stellen und unter Ausschaltung jeglicher Bürokratie wurden die volkswirtschaftlich 
dringendsten Maßnahmen zur Sicherstellung der Ernährung des englischen Volkes 
durchgeführt. 
Dabei war die Lage in England denkbar ungünstig, denn nur ein viertel der 
Gesamtbevölkerung dieses Staates war landwirtschaftlich tätig. 420 Latifundien, von 
denen jedes über 8000 ha, also 32000 preußische Morgen groß war, umfaßten ein 
Drittel der Gesamtfläche des englischen Festlandes. Zn Schottland allein besaßen 
2578 Grundherren 97 % der Gesamtfläche. Dabei dienten 10—33 % der Besitzungen 
in ganz England nicht mehr der landwirtschaftlichen Erzeugung. 83—90 % der ge¬ 
samten Kulturfläche waren Pachtland. Der Bauer nach deutschem Begriff war also 
im England des Weltkrieges nicht mehr vorhanden. Der englische Pächter und Klein¬ 
pächter, der bekanntlich andere Auffassungen über den landwirtschaftlichen Betrieb 
hatte als der deutsche, waren vorherrschend. Die englische Freihandelslehre hatte den 
Bauern in England vollkommen verdrängt. Extensive Wirtschaft mit vorwiegender 
Schafweide war das Gegebene. Somit war die Versorgungslage Englands mit Nah¬ 
rungsmitteln einerseits durch vorherrschen eines nicht selbst bewirtschaftenden Gro߬ 
grundbesitzes, andererseits durch Zurückdrängung des bäuerlichen Elements viel mehr 
gefährdet als bei uns in Deutschland. Trotzdem haben aber die besonderen Macht¬ 
befugnisse des englischen Landwirtschaftsministers während des Krieges einen ent¬ 
sprechenden Wandel geschaffen. 
Trugschlüsse und amtliche Unmöglichteiten 
Das Jahr 1914 brachte in Deutschland in der Nahrungsmittelversorgung keine 
großen Schwierigkeiten. Oie Ernte wurde durch schnell zusammengetrommelte Ernte¬ 
helfer, vorwiegend Schüler und Schülerinnen, außerdem Frauen und alte Männer, 
relativ günstig eingebracht. Sie war auch gut ausgefallen. An ein Karten- und Marken¬ 
system dachte man nicht, da man sich an den verantwortlichen Stellen ein vollkommen 
falsches Urteil über den verlaus des Krieges gebildet hatte. Man nahm nämlich an, 
daß die militärische Entscheidung des Krieges in einigen Monaten gefallen sei. Schon 
aus diesem Grunde wurde der Mangel an ernährungswirtschaftlichen Kriegsvor¬
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.