Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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Ernst Kabifd) 
rung der deutschen Gstgrenze durch das um Kongrefepolen vergrößerte Österreich. 
Bunan erklärte, die Regierung könne auf die Stimmenverteilung im Parlament 
nicht einwirken; für den Lethmannschen Gedanken einer Dreiteilung der habs- 
burgischen Monarchie (Österreich, Ungarn, Polen) hatte er taube Ohren, weil die 
Ungarn von jeher auf dem Dualismus bestanden hatten, dem allein sie ihre Macht¬ 
stellung verdankten. Ruch die für Deutschland nötigen Sicherungen erwiesen sich als 
auf diesem Wege nicht erreichbar. Als Bunan am l4. April 1916 nach Berlin kam, 
schlug ihm deshalb Lethmann vor, aus Russisch-Polen einen selbständigen Puffer¬ 
staat, eine Monarchie zu machen. Ob ein deutscher oder habsburgischer Prinz an 
dessen Spitze trete, sei ihm gleichgültig, aber „Anlehnung an Deutschland", wirt¬ 
schaftliche und militärische, forderte er. Deutschland dürfe nicht von Rußland ab¬ 
geschnürt werden. Zu einer Einigung kam es nicht. Bunan verweigerte die An¬ 
lehnung an Deutschland: Polen müsse das Recht eigenen Zolltarifs haben. Eine 
Militärkonvention dürfe nur zu dreien geschlossen werden. 
Im Juli 1916 tauchen Möglichkeiten eines Sonderfriedens mit Rußland auf. 
Der Außennnnister Sasanow, der Urheber des Krieges, wird durch Stürmer ersetzt. 
Vas bezeichnet das Gerücht als Zeichen der Abkehr von der Entente. Rasputin soll 
auf den Zaren im Sinne eines Sonderfriedens einwirken,' vielleicht auch die Zarin. 
Zn Stockholm spricht um diese Zeit der Hamburger Bankier i)r. Fritz warburg mit 
dem bald darauf zum Innenminister ernannten Protopopow. Protopopow beendet 
die Unterredung mit den Worten, er hoffe, daß man sich bald im Frieden wieder 
begegnen werdeh. 
Der Zar schien bislang allen solchen Einflüssen gegenüber unzugänglich geblieben. 
Er bildete sich ein, Kaiser Wilhelm II. zu hassen, wollte den Alliierten die Treue 
halten, erklärte, lieber zugrunde gehen zu wollen, als sein Wort zu brechen. Leth¬ 
mann glaubte deshalb, wie nach seiner ganzen inneren Einstellung, an keinen Sonder¬ 
frieden. Am 5. August sprach er im Reichstage: „Deutschland werde freiwillig die 
von ihm befreiten Völker zwischen der Baltischen See und den Wolhgnischen Sümpfen 
nicht wieder den Reaktionären Rußlands ausliefern." Gestärkt wurde er durch einen 
Immediatbericht des nicht der Obersten Heeresleitung unterstehenden Generals 
v. Leseler, des Generalgouverneurs vom deutsch besetzten Polen. Vieser erklärte, 
die Bildung eines selbständigen Polens werde zur Aufstellung einer polnischen 
Armee an der Seite der Zentralmächte aus Freiwilligen der russischen Polen führen. 
Mindestens drei Divisionen erwartete er. So kam es zur Einigung von Bethmann 
und Bunan am 11.—12. August: Kongreßpolen sollte das versprechen der Un¬ 
abhängigkeit erhalten. Bunan drängte auf baldige proklamierung. 
Einspruch erhob Falkenhagn als Chef der Obersten Heeresleitung. Dieser West- 
preuße — Burg Belchau bei Grauden; war der Familiensitz — kannte die inneren 
Spannungen zwischen Polen und Deutschen. Nüchtern und frei von Illusionen glaubte 
er nicht an polnische Waffenhilfe. Die Hoffnung auf den Sonderfrieden mit Rußland 
hatte er nicht aufgegeben. Unablässig strebte er auf dies Ziel hin. Er fand das Ein¬ 
verständnis Kaiser Wilhelms. Vieser forderte in einem Telegramm an Lethmann, 
„von jeder proklamierung der Unabhängigkeit vorläufig abzusehen, hauptsächlich, 
um nicht einen Frieden mit Rußland zu erschweren". Aber Falkenhagns Tage sind
	        
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