Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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Max Schwarte 
Damals erntete £loyö George die Früchte der Vorsicht, daß er, trotz der Un¬ 
wahrscheinlichkeit des Bedarfs, schon im ersten Kriegsjahr eine Erweiterung der be¬ 
stehenden großen Werke und den Neubau zahlreicher neuer befohlen hatte,- sie kamen 
1916 langsam in Betrieb. Auch konnten jetzt, ein Jahr nach dem Auftrag, die ersten 
Lieferungen hochexplosibler Granaten an die Front abgehen. Die Menge des erzeugten 
Stahls wurde gegen 1914 verdoppelt, der Grzbezug aus Spanien und Schweden, 
der Salpeterbezug aus Chile erheblich gesteigert (die Stickstoffgewinnung aus der Luft 
gelang nicht). So war es möglich gewesen, den an der Somme eingesetzten mehr als 
1700 Geschützen mehr als 50000t Munition zuzuführen. Cs war aber voraus¬ 
zusehen, daß das für 1917 nicht genügen würde; zur Ergänzung der eigenen Pro¬ 
duktion wurden in den vereinigten Staaten und in Kanada (in neugeschaffenen 
Hüttenwerken) fertige Stahl- und Geschoßgußstücke jeden Zwischenstadiums in dem 
Umfange bestellt, wie es die verfügbaren Mittel und die gewährten Kredite irgend 
gestatteten. Mit monatlicher Zufuhr von 635000 t spanischer und 85000 1 schwe¬ 
discher Eisenerze sowie 1500000 t eigener Erzeugung kam man 1917 auf 
8500000t jährlicher fertiger Stahlprodukte, zu denen 1500000t Aufträge 
in Amerika kommen. Davon waren allein 25000001 Geschosse für die Artillerie 
des englischen Heeres; große Abgaben von Stahl gingen nach Frankreich, Stahl und 
Kohle „in beängstigenden Massen" nach Italien; weit über 500 Geschütze mit Mu¬ 
nition wurden allein 1916 nach Rußland gesandt und viel mehr wurde verlangt. 
Als auch das Jahr 1917 keinen Sieg gebracht hatte, ging der jetzt als Munitions¬ 
minister amtierende Winston Churchill mit ungeheurer Energie an eine weitere 
Steigerung für 1918 und, da er auch dann noch nicht an das Ende glaubte, für 1919. 
Seinen Überlegungen legte er die Annahme der Geschützzahlen zugrunde, die er 
auf deutscher Seite den englisch-französischen Batterien gegenüber erwarten zu müssen 
glaubte. Er rechnete an deutschen Geschützen Ende 1917 auf der Westfront 12432, 
an der Ostfront 5176, in der Türkei und in Italien 808, insgesamt 18416. Wenn 
man dem gegenüberstellt, daß dem deutschen Heere Mitte Februar 1918 tatsächlich 
17966 Geschütze zur Verfügung standen, so kann man nur einen Schluß daraus ziehen, 
wie vortrefflich auch im Kriege die feind-liche Spionage in Deutschland gearbeitet 
hat! — Die Ententearmeen an der Westfront besaßen 15969 Geschütze, unter 
denen 6654 schwere und schwerste 7568 deutschen gegenüberstanden. Lei glatter 
Lieferung der bestellten Geschütze glaubte Churchill im April die Zahl auf 17000 
moderne, 2000 ältere Geschütze gesteigert zu sehen. Andrerseits erwartete er, daß 
Deutschland erhebliche Neufertigungen und 2000—3000 zuletzt eroberte russische und 
italienische Geschütze der Westfront zuführen würde, ebenso aber auch die große Masse 
von der Ostfront. Lei sorgfältigster Abwägung rechnete er, selbst unter den aller¬ 
günstigsten Bedingungen und stärkster Kräfteanspannung, eine artilleristische Über¬ 
legenheit nicht für 1918 erreichen zu können; damit fehle aber ein Hauptfaktor zum 
Siege. Daß die Deutschen auch gleiche Munitionsmengen wie die Entente herstellen 
könnten, glaubte er allerdings nicht. — Diese Annahme war leider richtig — wie 
sollte das auch anders möglich sein? 
Dafür sollte er aber bald erkennen, daß im Kriege auch die sorgfältigsten Be¬ 
rechnungen zerstört werden können. Zn den regelmäßigen Gang des Nachschubs zur 
Front stieß plötzlich am 21. März der deutsche Angriff, der zwei englische Armeen zer¬ 
schlug, und dem am 6. April der zweite Stoß in Richtung auf den Kemmel folgte.
	        
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